Diffuse Hoffnung Ein paar Tage lang wurde in der SPD diskutiert, wie es sich vor dem Treffen einer so genannten Programmpartei gehört. Vor und hinter den Kulissen wurden Strippen gezogen, Positionen eingebracht, Provokationen ausgetauscht. Am Sonntagnachmittag taten die Delegierten dann das, wofür sie vor allem zusammengerufen worden waren: Sie wählten Kurt Beck zu ihrem neuen Chef.
Die Wahl endete mit einem Ergebnis, wie es die politische Klugheit und die Binnenhygiene der SPD erforderten: 95,07 Prozent. Das ist keine Traumquote von fast 100 Prozent, wie sie Matthias Platzeck erreicht hatte. Aber es ist genug, damit der elfte Vorsitzende seit Kriegsende unbeschädigt seine Arbeit beginnen kann. Wohin er die SPD steuern will, hat Kurt Beck auf diesem Berliner Parteitag allerdings so wenig gesagt wie in seiner wolkigen Grundsatzrede vor drei Wochen. Auch die Partei hat die Gelegenheit nicht genutzt, ihrerseits dem neuen Vorsitzenden eine Richtung vorzugeben. Kurt Beck, so besagen das Wahlergebnis wie auch die Leitanträge, soll es nur irgendwie richten. Für Beck ist das eine komfortable Situation. Aber auch eine gefährliche, sollte er die in ihn gesetzten, großen und zugleich so diffusen Hoffnungen enttäuschen. Beck hat in Berlin der Basis nach dem Mund geredet. Er lobte Traditionen, repetierte sozialdemokratische Glaubenssätze. Das alles ist nicht falsch, angesichts der verunsicherten und frustrierten SPD-Mitgliedschaft mag es sogar notwendig sein. Es ist allerdings zu wenig, um Wählern zu erklären, warum die SPD regieren muss. Die Hinweise darauf, dass nicht alles bleiben kann, wie es ist, versteckte Beck in Allgemeinplätzen und Nebensätzen. Wer das nicht hören wollte, musste nicht - die meisten Delegierten wollten nicht. Die energische Mahnung zur Erneuerung blieb Becks Vorgänger Platzeck vorbehalten. Das lässt ahnen, dass sein Verlust eines Tages schwerer wiegen könnte als heute vermutet. Die Parteilinken schließlich verzichteten um des lieben Friedens Willen darauf, Beck und die SPD-Regierungsmannschaft inhaltlich zu binden: Mit dem Kompromiss zur Unternehmenssteuerreform, die von einigen im Vorfeld des Parteitags noch zum casus belli stilisiert worden war, kann Finanzminister Peer Steinbrück gut leben. Denn die Formulierung der ?weitgehenden? Aufkommensneutralität lässt ihm bei der Steuerreform faktisch freie Hand. Der Parteitag brachte also durch und durch vernünftige Ergebnisse, im Sinne der innerparteilichen Geschlossenheit und der Zusammenarbeit mit der CDU. Dennoch ist das Treffen nicht mehr als eine Momentaufnahme. Sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Frieden in der SPD so brüchig ist wie der in der großen Koalition.
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