Abgehört, Abgeordnete
Die Spitzelaffäre könnte nach BND, Bundesregierung und Journalisten bald auch Parlamentarier erreichen/ von Andreas Theyssen
Die BND-Affäre ist ausgesprochen unterhaltsam. Nicht nur, weil wir unser Kurzzeitgedächtnis mittlerweile heftig bemühen müssen, um uns erinnern zu können, die wievielte Affäre des Geheimdienstes im vergangenen halben Jahr es ist. Sondern auch, weil wir sehr viel lernen können über einen Berufsstand, der bis dato ähnlich geheimnisumwittert war wie die Schlapphüte aus Pullach - die Spezies der ?investigativen Journalisten?.
Nun aber erfahren wir im Gefolge der Spitzelaffäre ausgesprochen viel über jene, die sich zu den Frontkämpfern des Journalismus zählen und sich in Netzwerken gerne mal über den Rest der Nachrichten verarbeitenden Redakteure erheben. Wir erfahren, dass sie gute Informationen recherchieren, dass einige wenige unter ihnen aber bei der Recherche die Grenzen des journalistischen Anstands überschreiten: indem sie bei ihrem Streben nach Exklusivem sich selbst zu Bütteln eines Geheimdienstes degradieren, ihm Informationen liefern, gar Kollegen ausspionieren und anschwärzen.
Hätten sie sich an das Berufsethos gehalten, dass man weder im In- noch im Ausland für Nachrichtendienste arbeitet, gäbe es heute keine Spitzelaffäre. Insofern haben in dieser Sache nicht nur Bundesregierung und BND etwas aufzuarbeiten, sondern auch wir Journalisten.
In Berlin jedenfalls freuen sich mittlerweile etliche Bundestagsabgeordnete auf die Veröffentlichung des 175 Seiten starken so genannten Schäfer-Berichts. In dem wird recht ausführlich dokumentiert, wie sich der BND einiger Journalisten bediente und andere ausspionierte. Da würden einige unappetitliche Details aus Redaktionen und über Arbeitsmethoden von Journalisten publik werden, raunen kundige Parlamentarier. Unüberhörbar ist die Häme, dass jenen Ungemach droht, die den Politikern berufsbedingt das Leben erschweren.
Die Schadenfreude könnte rasch in blankes Entsetzen umschlagen. Man muss nur das, was bisher über die Spitzelaffäre bekannt geworden ist, zu Ende denken. Dann könnte sich sehr schnell erweisen, dass der BND über einige Abgeordnete deutlich mehr weiß, als ihnen lieb ist. Mit anderen Worten: Auch Parlamentarier können vom BND observiert oder gar abgehört worden sein.
Die Pullacher haben mindestens sieben Journalisten ausgespäht, weil sie hofften, auf diese Weise ein Leck in den eigenen Reihen schließen zu können. Die Observation war teilweise so eng, dass sie bis ins Privatleben der Zeitungsleute reichte. Dass auch deren Telefone abgehört wurden, bestreitet der BND. Der pensionierte Bundesrichter Gerhard Schäfer hat bei seinen Untersuchungen ebenfalls keine Belege dafür gefunden. Allerdings: Er schreibt in seinem Bericht, dass offenbar auch Akten über die Aktionen verschwunden sind. Zudem sind in den Wohnungen von zwei Journalisten Wanzen entdeckt worden.
Die Zeitungsleute gerieten ins Visier des Geheimdienstes, weil sie tatsächlich oder vermeintlich an BND-internes Material geraten waren. Es ging etwa um die Plutoniumaffäre, bei der die Pullacher radioaktives Material aus Russland nach Deutschland schmuggeln ließen. Oder um den Fall des französischen Mineralölkonzerns Elf-Aquitaine, der im Verdacht stand, deutsche Politiker bestochen zu haben. Oder auch um Geldwäsche in Liechtenstein. Mindestens zwei der Fälle spielten in Untersuchungsausschüssen des Bundestags eine tragende Rolle, im Plutonium- und im so genannten Parteispenden-Untersuchungsausschuss.
Die meisten der vom BND observierten Journalisten berichteten auch über die Arbeit dieser Parlamentsgremien. Zu ihrem Job gehörte dabei, mit Ausschussangehörigen der verschiedenen Bundestagsfraktionen zu sprechen, um von ihnen Einschätzungen zu erhalten oder auch Tipps, wo und in welcher Richtung sie weiter recherchieren konnten.
Für die Abgeordneten, die damals mit ihnen redeten, könnte dies Nachwirkungen gehabt haben. Da der BND die Journalisten observiert hat, dürfte er auch wissen, welcher Volksvertreter wann und wo mit welchem Journalisten gesprochen hat. Auszuschließen ist nicht, dass der Dienst dabei auch erfahren hat, was gesprochen wurde. In diesem Fall würde aus der Spitzelaffäre eine veritable Staatsaffäre.
Es gibt noch ein weiteres Verdachtsmoment, dass Geheimdienste dem Bundestag näher gekommen sind, als der parlamentarischen Demokratie dienlich sein kann. Während des Parteispenden-Untersuchungsausschusses verdächtigte die Staatsanwaltschaft einen Abgeordentenmitarbeiter, vertrauliches Material - darunter auch aus BND-Quellen - an Medien weitergegeben zu haben (der Verdacht erhärtete sich trotz jahrelanger Ermittlungen nicht).
Während das Verfahren lief, meldete der Mitarbeiter seinem Abgeordneten, er habe den Eindruck, observiert zu werden. Sowohl nach Feierabend als auch in der Mittagspause. Damals mochte man seine Äußerungen noch als stressbedingte Paranoia abtun können. Kann man das heute auch noch, nachdem wir deutlich mehr über die unheimlichen Methoden des BND wissen?
Der Verdacht, dass Geheimdienste die Arbeit von Volksvertretern zumindest mittelbar auskundschaften, ist unerträglich. Das Parlament wäre gut beraten, aus ureigenem Interesse heraus dafür zu sorgen, dass die Arbeit des BND im Inland lückenlos aufgeklärt wird. Vor allem sollte es sich nicht davon beirren lassen, wenn - was absehbar ist - die Bundesregierung einen ehemaligen Geheimdienstchef oder -koordinator als Bauernopfer bringen wird. Denn der Fehler liegt im System.
Dem Auslandsgeheimdienst darf nicht länger erlaubt sein, im Inland zu agieren, wenn er ein Leck in den eigenen Reihen vermutet. Dies muss künftig allein die Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft sein. Auch in diesem Punkt hat Deutschland Reformbedarf.
Ach ja: Von unserer eigenen Zunft erwarten wir rasch eine ausgiebige Debatte darüber, was Journalisten bei der Informationsbeschaffung dürfen. Und wo die Grenzen sind.
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