Zielscheibe Deutschland
Deutschland wird erpresst. Und das gleich zweimal. Die Entführer einer seit Jahren im Irak lebenden Deutschen und ihres Sohnes drohen mit der Ermordung der Geiseln, falls Berlin seine Truppen in Afghanistan nicht binnen zehn Tagen abzieht. Und eine Gruppe namens ?Stimme des Kalifats? fordert auf einer al-Kaida-nahen Website ebenfalls den Abzug, sonst werde es Anschläge in Deutschland geben.
Jene, die gegen das Afghanistan-Engagement sind, sehen sich bestätigt - Deutschland mache sich selbst zum Terrorziel, sagen sie. Doch die Erpressungsversuche sind kein Beleg für die These. Selbst wenn keine Bundeswehrtruppen am Hindukusch stationiert wären, gälte Deutschland Islamisten als Unterstützer des Afghanistan-Kriegs. Etwa weil es auf seinem Territorium Nato-Truppen duldet. Wer Terror will, findet immer einen Grund, ihn zu rechtfertigen. Wer aber aus Angst vor dem Terror den Terror nicht bekämpft, hat schon verloren.
Es ist zweifelhaft, dass es den Entführern der Deutschen wirklich um Afghanistan geht. Wollten sie die deutsche Politik beeinflussen, hätten sie ihre Forderung vor der Entscheidung des Bundestags über den Tornado-Einsatz gestellt. Sie taten es einen Tag später - obwohl die Geiseln seit Februar in ihrer Gewalt sind. Plausibler ist daher, dass die beiden in den Fängen der irakischen Entführungsindustrie sind. Der geht es um Lösegeld, nicht um die politischen Forderungen, die sie vorschützt. Im Irak hat sich herumgesprochen, dass Berlin zahlt; auch als es um Susanne Osthoff und die Leipziger Ingenieure ging, floss Geld.
Die Bundesregierung hat also selbst verschuldet, dass sie wieder erpresst wird. Die Frage aber, ob sie zahlen sollte oder nicht, stellt sich nicht mehr - sie ist zum Zeitpunkt der ersten Entführungen beantwortet worden. Anders als die britische Regierung, die hart geblieben ist und die Enthauptung eines Staatsbürgers vor laufender Kamera in Kauf nahm, mutet die Bundesregierung sich eine so harte Grundsatzentscheidung nicht zu. Mit Glück und Geld kann sich auch das gegenwärtige Geiseldrama lösen. Deutschland wird damit leben müssen, dass im Irak immer wieder Deutsche entführt und freigekauft werden.
Den Abzug aus Afghanistan aber darf sich die Regierung nicht abpressen lassen. Die Terroristen haben erkannt, dass die Unterstützung für den Einsatz hierzulande alles andere als unbedingt ist - und spekulieren, dass Berlin durch Drohungen aus der Allianz zu vertreiben ist.
Der Bundestag hat Tornados nach Afghanistan geschickt, um die Nato zu unterstützen. Und so nach fünf Jahren am Hindukusch auch den ganzen Einsatz noch einmal bestätigt. Wenn Terroristen diesen Einsatz mit Anschlägen in Deutschland bekämpfen sollten, wird er zu einer Frage der Staatsräson.
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