New York (BoerseGo.de) - Das Kartenhaus, das man Wall Street nennt, wurde in den vergangenen 48 Stunden kräftig aufgemischt. Hat sich das Blatt jetzt grundsätzlich gewendet? Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch.
Think Big
Immerhin ist die internationale Politik endlich aufgewacht und geht jetzt strategisch und systematisch gegen die Krise vor. Der erste Schritt war die konzertierte Notenbankaktion von gestern früh, in deren Rahmen die Zentralbanken den angeschlagenen Finanzkonzernen insgesamt 180 Milliarden Dollar zusätzliche Liquidität zu Verfügung stellen. Viel wichtiger und wirksamer ist aber der Rettungsplan an dem die US-Regierung jetzt gerade arbeitet. Das Ganze läuft auf einen gigantischen Staatsfonds hinaus, der den Banken die faulen Immobilienkredite abkauft. Das Projekt ist noch nicht ganz konkretisiert, Finanzminister Henry Paulson kündigt aber heute ein sehr großes Projekt an, das die „maximale Wirkung“ erzielen soll. Von mehreren hundert-Milliarden Dollar ist die Rede. Zur Unterstützung sollen die verstaatlichten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac noch mehr immobiliengesicherte Kredite ankaufen dürfen, das gleiche gelte für das US-Schatzministerium. Damit soll das Vertrauen in die Banken wieder hergestellt und die in Schwierigkeiten gekommenen Eigenheimbesitzer entlastet werden. Dadurch hofft man auch den kriselnden Immobilienmarkt wieder in Schwung zu bringen - und somit gleichzeitig auch die US-Konjunktur. Zur Beruhigung der hypernervösen Märkte dient auch eine 50-Milliarden-Dollar-Garantie für die ebenfalls wackelnden Geldmarktfonds. „Think Big“, sagen eben die Amerikaner.
Nägel mit Köpfen
Viel spontaner wirkt aber, dass die Behörden endlich gegen die massive Leerverkaufs-Spekulation vorgehen. Bereits gestern wurde ein Verbot sogenannter „nackter“ Leerverkäufe wirksam. Das war aber nur halbherzig, da nur Aktien betroffen wurden, die der Verkäufer noch nicht einmal vorher geliehen hatte. Konsequenter und wirksamer ging die britische Finanzaufsichts-Behörde FSA vor. Die Briten verboten gestern vorübergehend alle Leerverkäufe bei Finanzaktien in London, wirksam ab Mitternacht.
Heute machten endlich auch die Amerikaner Nägel mit Köpfen. Die US-Börsenaufsicht untersagte befristet den Leerverkauf von praktisch allen Finanzaktien und hat eine Liste von 799 Finanz-Titeln veröffentlicht, die derzeit tabu sind. Dieser Bann soll bis Anfang Oktober gelten. Das ist ein gewaltiger Befreiungsschlag. Marktbeobachter gehen nämlich davon aus, dass Leerverkäufer den Kurssturz der Aktien von AIG, Bear Stearns, Lehman Brothers, Merrill Lynch und anderen zumindest verschärft hatten. Die dadurch wiederum ausgelöste Vertrauenskrise, also die Flucht von Kunden und Geldgebern, brachte die Finanzkonzerne dann schließlich zum Fall. In dieser Woche wurden die Angriffe auch auf Goldman Sachs und Morgan Stanley ausgedehnt. Das überspannte vermutlich den Bogen, weil Goldman Sachs angeblich sehr gute Verbindungen zu Washington besitzt. Die Reaktion zeigt sich jetzt.
Das Maßnahmenbündel scheint zu wirken. Die Panik, die bis zur Wochenmitte noch für Blutbäder an der Wall Street gesorgt hatte, ging aus dem Markt. Die Investoren strömen wieder scharenweise in Aktien zurück, auch beschleunigt durch den Druck, Leerverkäufe einzudecken. Das stabilisiert wiederum die Finanzkonzerne, die jetzt wieder Luft gewinnen und sich das dringend benötigte frische Kapital beschaffen können. Damit dürften die Kredite in den USA, etwa für Immobilien, billiger und verfügbarer werden, also ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der US-Konjunktur und der Weltwirtschaft.
Stärkste 2-Tages-Rallye seit 38 Jahren
Zur Krönung des Ganzen war heute auch noch vierfacher Hexentag“ („Quadruple Witching“). Dabei liefen Optionen und Kontrakte auf Einzelwerte und Indizes aus, was möglicherweise die Kursausschläge noch verschärfte. Gewinner des Tages war natürlich der Finanzsektor, der heute 11% höher schloss (gestern plus 12%) und damit einen Wochengewinn von 7,4% erzielte - trotz der Pleiten vom Wochenende. Bloomberg registrierte für den gesamten US-Aktienmarkt die stärkste 2-Tages-Rallye seit 38 Jahren.
Der Dow Jones Industrial Average gewann 3,35 Prozent auf 11.388 Punkte, der - für den breiten US-Aktienmarkt repräsentative - S&P 500 sprang 4,02 Prozent auf 1.255 Punkte und der technologielastige Nasdaq Composite Index, kletterte 3,4 Prozent auf 2.273 Punkte.
Im Vergleich zur Vorwoche bleiben aber noch die Spuren der Blutbäder:
Dow Jones minus 0,3%
S&P 500 + 0,15%
Nasdaq minus 1,2%
Dow Jones Average: Gewinner der Krise
Von den 30 Titeln des Blue Chips Barometers schlossen heute 23 im Plus. Die 4 ersten Plätze wurden von Finanzkonzernen belegt, die alle jeweils mehr 10% gewannen.
Tops:
Das Nochmitglied American International Group (AIG) explodierte 43,1% auf 3,85 Dollar. Dort half auch die Nachricht, dass der gefallene Versicherungsriese sich bemüht, Kredite der US-Regierung so schnell wie möglich zurück zu zahlen. Damit will der abgestürzte Finanzkonzern vermeiden, dass der Staat 80 Prozent seines Aktienkapitals übernimmt, was auch schlecht für die Aktionäre wäre. Am Montag muss der geschrumpfte Ex-Riese den Dow Jones verlassen und wird durch den Lebensmittelkonzern Kraft Foods ersetzt.
Die Citigroup kletterte 24% auf 20,65 Dollar, die Bank of America 22,6% auf 37,48 Dollar und JP Morgan 16,8% auf 47,05 Dollar. Die breit aufgestellten Bankkonzern scheinen als Gewinner der Krise hervorzugehen, weil sie sich aus den untergegangen Investmentbanken die Filetstückchen herausschneiden können.
General Motors war mit dem 4. Platz der beste Nichtbankenwert und erzielte einen Tagesgewinn von 14,5% auf 14,8 Dollar. Dort hilft seit Tagen die Spekulation, dass die kriselnden Detroiter - zusammen mit dem Rivalen Ford - einen Staatskredit im Volumen von insgesamt 25 Milliarden Dollar erhalten. Außerdem wird darauf spekuliert, dass der Industrie-Dinosaurier seinen Lkw-Bereich an die Japaner Isuzu Motors verkauft.
Flops:
Vernachlässigt wurden vor allem defensive Titel, besonders aus den Bereichen Pharma, Haushaltswaren. Vermutlich wurden die Papiere in riskantere Finanz- oder Technologiewerte getauscht, die jetzt mehr Sexappeal haben. Immerhin haben die Haushaltswaren die Krise an der Wall Street gut überstanden und seit Jahresanfang nur 2,2% abgegeben, während der breite Aktienmarkt (vertreten durch den S&P 500) 14,3% verlor.
Der heutige Flop war Wal-Mart mit minus 2,9% auf 59,7 Dollar. Dort belastete anscheinend wieder der Ölpreis, der den potentiellen Kunden die Kaufkraft entzieht.
S&P 500: Die letzten Mohikaner
Der breiter aufgestellte S&P wurde natürlich von explodierenden Kursen der Banken in die Höhe getrieben.
Tops:
Washington Mutual explodierte 42% auf 4,25 Dollar. Laut Wall Street Journal denkt die Citigroup über ein Übernahme der angeschlagenen Sparkasse nach. Das im gleichnamigen Bundesstaat beheimatete Kreditinstitut ist tief im Hypothekensumpf versunken.
Kletterpartien legten auch die Geschäftsbanken ein, etwa Wachovia plus 29% auf 18,75 Dollar
Die beiden letzten Mohikaner bei den Investmentbanken zogen ebenfalls scharf an: Morgan Stanley gewann 20,7% auf 27,21 Dollar. Der Finanzkonzern bemüht sich weiter eine Lösung für das Schlamassel zu finden. Laut Reuters redet die angeschlagene Investmentbank weiter „an allen Fronten“. Gespräche gäbe es mit der Geschäftsbank Wachovia, dem chinesischen Staatsfonds China Investment Corp und anderen Institutionen. Das Thema Fusion sie zwar noch nicht vom Tisch (Wachovia?), die Wall Street Firma bevorzuge es aber, eigenständig zu bleiben, vielleicht mit einer Aufstockung der Beteiligung aus China. Die heutige Rallye verschaffe dem Finanzkonzern wieder etwas Luft und damit mehr Zeit, die Optionen abzuwägen, hieß es.
Der verbliebene Rivale Goldman Sachs avancierte 20,2% auf 129,80 Dollar.
Die Eigenheimbauer wurden ebenfalls wieder vom Rettungsprojekt beschwingt: KB Home plus 6,7% und Lennar plus 11,6%.
Flops:
Die Aktionäre der beiden Anleiheversicherer Ambac (minus 42%) und MBIA (minus 8%) waren dagegen von der heutigen Party an der Wall Street ausgeschlossen. Spielverderber war wieder einmal die Ratingagentur Moody's. Die Bewertungsfirma drohte damit, das Kreditrating für die beiden Finanz-Goliaths erneut herab zu stufen. Die Verluste wegen der Subprimekrise hätten sich verschlimmert, hieß es. Warum Moody's den Rettungsplan der US-Regierung ignoriert, bleibt das Geheimnis der Firma
Host Hotels & Resort sank 5,9% auf 15,99 Dollar. Das Touristikunternehmen wurde beim Broker Robert W. Baird & Co von „Outperform“ auf „Neutral“ gekappt. Die Einnahmen pro Hotelzimmer gehen zurück, außerdem dämpfte die Krise der Fluggesellschaften die Besucherzahlen, hieß es.
Hershey verbilligte sich 4,8% auf 40,70 Dollar. Der Schokoladenhersteller litt anscheinend darunter, dass die Anleger Nahrungsmittelkonzernen und anderen eher defensiven Aktien die kalte Schulter zeigten.
Nasdaq: Weniger Appetit auf Chips
Obwohl die technologielastige Nasdaq kaum von der Banken-Rallye profitierte, konnte sie - nach einem Endspurt - recht gut mithalten. Dazu trug Oracle bei, mit einem Kurssprung um 7% auf 20,07 Dollar. Der SAP-Rivale übertraf gestern die Gewinnerwartungen der Wall Street und gab einen soliden Ausblick ab. Die Citigroup bekräftigte ihre Kaufempfehlung und Kursziel 25 Dollar. Der Broker Piper Jaffray werte den Software-Titel von „Neutral“ auf „Kaufen“ auf.
Der Dow-Titel Microsoft bröckelte dagegen nachrichtenlos 0,4% auf 25,16 Dollar. Vielleicht lag das daran, dass die Analysten für den Informations-Technologiebereich zunehmend pessimistischer werden. Dell sank jedenfalls 3,6% auf 16,63 Dollar. Die UBS senkte heute ihre Schätzung für die in 2009 verkauften PC-Stückzahlen. Diese Skepsis schien auch die Hersteller der für die PCs benötigten Chips zu belasten. Intel, ebenfalls Dow-Mitglied, gab 0,2% auf 19,23 Dollar ab. Der Philadelphia Semiconductor Sector Index, der 19 Halbleiter-Titel erfasst, underperformte heute mit einem Plus von 1,9 % auf 333,91 Punkte.
Apple gewann dagegen 5,1% auf 140,91 Dollar. Gestern gab es einen Gewinn von 4,7%. Zeitweise war das Papier gestern für 120,68 Dollar zu haben, anscheinend hat hier das Verbot „nackter“ Leerverkäufe geholfen. Der Smartphone-Rivale Research in Motion, Hersteller des BlackBerry, hielt mit und verbesserte sich um 5,4% auf 103,44 Dollar.
Der Smartphon-Pionier Palm verlor dagegen 6,6% auf 7,93 Dollar. Gestern war die Aktie allerdings - auch wegen Eindeckung von Leerverkäufen - um 18% gesprungen. Der Elektronikkonzern übertraf zwar gestern die Gewinn- und Umsatzerwartungen, gab aber - den inzwischen fast üblichen - enttäuschenden Ausblick ab.
Zu den Zugpferden der Nasdaq zählte auch McAfee mit einem Gewinn von 6,2% auf 37,31 Dollar. Der Spezialist für Sicherheits-Software bekam heute Rückenwind durch ein gnädiges Brokerurteil. Der Broker Friedman Billings beförderte den Software-Titel von „Underperform“ auf „Market Perform“. Das Kursziel bleibt bei 33 Dollar. Die Aktie sei in wenigen Wochen um 12 Prozent gefallen, damit habe sich das Risiko-Chance-Profil für die Anleger verbessert, hieß es dort. Inzwischen sei das abgeschwächte IT-Umfeld (flaue Softwarenachfrage) weitgehend eingepreist.
Internet: Digitaler Milchskandal?
Google avancierte 2,3% auf 449,15 Dollar. Dort hat der Schwung schon wieder nachgelassen. Gestern hatte der Onlineriese noch 6% zugelegt. Bereits gestern wurde gemeldet, dass der Suchmaschinenkönig seinen Marktanteil in den USA im August auf 63% ausweitete (Juli: 61,9%). Yahoo verlor 4,5% auf 19,89 Dollar und musste damit wieder einen Teil seines gestrigen Kursgewinns von 11% rausrücken. Baidu.com gab 5% auf 289,75 Dollar ab, gestern war das Papier 20% gestiegen. Die führende Internet-Suchmaschine in China (Marktanteil rund 60%) wird derzeit von einigen Kritikern mit dem chinesischen Milchskandal in Verbindung gebracht, schrieb das Wall Street Journal. Gegner des Onlinedienstleisters behaupteten, Baidu.com habe Nachrichten zum Milchskandal (Milchpulver wurde ein giftiger Stoff beigemischt, um die Gewinne der Milchproduzenten zu steigern) unterdrückt. Diese Behauptung wurde allerdings von der in Beijing ansässigen Firma dementiert. Das Wall Street Journal sieht die Vorwürfe auch im Zusammenhang mit dem Neid den Wachstum und Marktführung hervorrufen. Schon seit Tagen leidet die Aktie unter der Meldung, dass verschiedene Onlineportale und Gemeinschaftsnetzwerke in China den Suchmaschinen von Baidu den Zugang verwehren und sie blockieren.
Amazon.com kletterte dagegen 5,9% auf 81,00 Dollar. Gestern hatte Onlinehändler schon 7% gewonnen. Bereits zum Wochenanfang wurde ein Deal der Seattler mit MySpace bekannt. Dabei richtet der E-Commerce-Pionier für das Gemeinschaftsnetzwerk einen MP3-Download-Shop ein. Der Rivale Ebay verbesserte sich 0,7% auf 23,17 Dollar.
Öl: Stabilisierung der Finanzmärkte verteuert Energie
Im Gegensatz zum Goldpreis profitierte der Ölpreis von der Stabilisierung der Finanzmärkte. Der Crude-Kontrakt für Oktober stieg heute an der New York Mercantile Exchange um 6,67 auf 104,55 Dollar, berichtet MarketWatch. Das ist allerdings kontraproduktiv, weil der dadurch erzeugte Kaufkraftentzug bei den Verbrauchern die ohnehin schon wegen überhöhter Rohstoffpreise angeschlagene Konjunktur wieder schwächt, zumal die Energiekosten für die Unternehmen steigen.
Gold: Stabilisierung der Finanzmärkte bringt Preis zum Absturz
New York (BoerseGo.de) - Gestern hatte das Gold von der Panik profitiert, heute brachte die Stabilisierung den Schmuckmetallpreis wieder zum Absturz. Der Gold-Kontrakt für Dezember verlor heute 32,30 Dollar auf 864,70 Dollar. Zeitweise verbilligte sich der Rohstoff um 68,50 Dollar, also 7,6%, berichtet MarketWatch.
Ausblick:
Montag:
Quartalszahlen: 3Com (Netzwerkausrüster)
Dienstag:
Mittwoch:
14:30 Uhr Verkauf bestehender Eigenheime vom August, 16:35 Uhr Ölvorräte der Vorwoche
Quartalszahlen: Nike
Donnerstag:
14:30 Uhr Arbeitslosenmeldungen der Vorwoche und Auftragseingänge für dauerhafte Güter vom August, 16:00 Verkauf neuer Eigenheim vom August
Quartalszahlen: Research in Motion (Smartphones: BlackBerry), Tibco Software
Freitag:
14:30 Wirtschaftswachstum 2. Quartal (2. Revision)
Quartalszahlen: KB Home (Eigenheimbauer)
Think Big
Immerhin ist die internationale Politik endlich aufgewacht und geht jetzt strategisch und systematisch gegen die Krise vor. Der erste Schritt war die konzertierte Notenbankaktion von gestern früh, in deren Rahmen die Zentralbanken den angeschlagenen Finanzkonzernen insgesamt 180 Milliarden Dollar zusätzliche Liquidität zu Verfügung stellen. Viel wichtiger und wirksamer ist aber der Rettungsplan an dem die US-Regierung jetzt gerade arbeitet. Das Ganze läuft auf einen gigantischen Staatsfonds hinaus, der den Banken die faulen Immobilienkredite abkauft. Das Projekt ist noch nicht ganz konkretisiert, Finanzminister Henry Paulson kündigt aber heute ein sehr großes Projekt an, das die „maximale Wirkung“ erzielen soll. Von mehreren hundert-Milliarden Dollar ist die Rede. Zur Unterstützung sollen die verstaatlichten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac noch mehr immobiliengesicherte Kredite ankaufen dürfen, das gleiche gelte für das US-Schatzministerium. Damit soll das Vertrauen in die Banken wieder hergestellt und die in Schwierigkeiten gekommenen Eigenheimbesitzer entlastet werden. Dadurch hofft man auch den kriselnden Immobilienmarkt wieder in Schwung zu bringen - und somit gleichzeitig auch die US-Konjunktur. Zur Beruhigung der hypernervösen Märkte dient auch eine 50-Milliarden-Dollar-Garantie für die ebenfalls wackelnden Geldmarktfonds. „Think Big“, sagen eben die Amerikaner.
Nägel mit Köpfen
Viel spontaner wirkt aber, dass die Behörden endlich gegen die massive Leerverkaufs-Spekulation vorgehen. Bereits gestern wurde ein Verbot sogenannter „nackter“ Leerverkäufe wirksam. Das war aber nur halbherzig, da nur Aktien betroffen wurden, die der Verkäufer noch nicht einmal vorher geliehen hatte. Konsequenter und wirksamer ging die britische Finanzaufsichts-Behörde FSA vor. Die Briten verboten gestern vorübergehend alle Leerverkäufe bei Finanzaktien in London, wirksam ab Mitternacht.
Heute machten endlich auch die Amerikaner Nägel mit Köpfen. Die US-Börsenaufsicht untersagte befristet den Leerverkauf von praktisch allen Finanzaktien und hat eine Liste von 799 Finanz-Titeln veröffentlicht, die derzeit tabu sind. Dieser Bann soll bis Anfang Oktober gelten. Das ist ein gewaltiger Befreiungsschlag. Marktbeobachter gehen nämlich davon aus, dass Leerverkäufer den Kurssturz der Aktien von AIG, Bear Stearns, Lehman Brothers, Merrill Lynch und anderen zumindest verschärft hatten. Die dadurch wiederum ausgelöste Vertrauenskrise, also die Flucht von Kunden und Geldgebern, brachte die Finanzkonzerne dann schließlich zum Fall. In dieser Woche wurden die Angriffe auch auf Goldman Sachs und Morgan Stanley ausgedehnt. Das überspannte vermutlich den Bogen, weil Goldman Sachs angeblich sehr gute Verbindungen zu Washington besitzt. Die Reaktion zeigt sich jetzt.
Das Maßnahmenbündel scheint zu wirken. Die Panik, die bis zur Wochenmitte noch für Blutbäder an der Wall Street gesorgt hatte, ging aus dem Markt. Die Investoren strömen wieder scharenweise in Aktien zurück, auch beschleunigt durch den Druck, Leerverkäufe einzudecken. Das stabilisiert wiederum die Finanzkonzerne, die jetzt wieder Luft gewinnen und sich das dringend benötigte frische Kapital beschaffen können. Damit dürften die Kredite in den USA, etwa für Immobilien, billiger und verfügbarer werden, also ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der US-Konjunktur und der Weltwirtschaft.
Stärkste 2-Tages-Rallye seit 38 Jahren
Zur Krönung des Ganzen war heute auch noch vierfacher Hexentag“ („Quadruple Witching“). Dabei liefen Optionen und Kontrakte auf Einzelwerte und Indizes aus, was möglicherweise die Kursausschläge noch verschärfte. Gewinner des Tages war natürlich der Finanzsektor, der heute 11% höher schloss (gestern plus 12%) und damit einen Wochengewinn von 7,4% erzielte - trotz der Pleiten vom Wochenende. Bloomberg registrierte für den gesamten US-Aktienmarkt die stärkste 2-Tages-Rallye seit 38 Jahren.
Der Dow Jones Industrial Average gewann 3,35 Prozent auf 11.388 Punkte, der - für den breiten US-Aktienmarkt repräsentative - S&P 500 sprang 4,02 Prozent auf 1.255 Punkte und der technologielastige Nasdaq Composite Index, kletterte 3,4 Prozent auf 2.273 Punkte.
Im Vergleich zur Vorwoche bleiben aber noch die Spuren der Blutbäder:
Dow Jones minus 0,3%
S&P 500 + 0,15%
Nasdaq minus 1,2%
Dow Jones Average: Gewinner der Krise
Von den 30 Titeln des Blue Chips Barometers schlossen heute 23 im Plus. Die 4 ersten Plätze wurden von Finanzkonzernen belegt, die alle jeweils mehr 10% gewannen.
Tops:
Das Nochmitglied American International Group (AIG) explodierte 43,1% auf 3,85 Dollar. Dort half auch die Nachricht, dass der gefallene Versicherungsriese sich bemüht, Kredite der US-Regierung so schnell wie möglich zurück zu zahlen. Damit will der abgestürzte Finanzkonzern vermeiden, dass der Staat 80 Prozent seines Aktienkapitals übernimmt, was auch schlecht für die Aktionäre wäre. Am Montag muss der geschrumpfte Ex-Riese den Dow Jones verlassen und wird durch den Lebensmittelkonzern Kraft Foods ersetzt.
Die Citigroup kletterte 24% auf 20,65 Dollar, die Bank of America 22,6% auf 37,48 Dollar und JP Morgan 16,8% auf 47,05 Dollar. Die breit aufgestellten Bankkonzern scheinen als Gewinner der Krise hervorzugehen, weil sie sich aus den untergegangen Investmentbanken die Filetstückchen herausschneiden können.
General Motors war mit dem 4. Platz der beste Nichtbankenwert und erzielte einen Tagesgewinn von 14,5% auf 14,8 Dollar. Dort hilft seit Tagen die Spekulation, dass die kriselnden Detroiter - zusammen mit dem Rivalen Ford - einen Staatskredit im Volumen von insgesamt 25 Milliarden Dollar erhalten. Außerdem wird darauf spekuliert, dass der Industrie-Dinosaurier seinen Lkw-Bereich an die Japaner Isuzu Motors verkauft.
Flops:
Vernachlässigt wurden vor allem defensive Titel, besonders aus den Bereichen Pharma, Haushaltswaren. Vermutlich wurden die Papiere in riskantere Finanz- oder Technologiewerte getauscht, die jetzt mehr Sexappeal haben. Immerhin haben die Haushaltswaren die Krise an der Wall Street gut überstanden und seit Jahresanfang nur 2,2% abgegeben, während der breite Aktienmarkt (vertreten durch den S&P 500) 14,3% verlor.
Der heutige Flop war Wal-Mart mit minus 2,9% auf 59,7 Dollar. Dort belastete anscheinend wieder der Ölpreis, der den potentiellen Kunden die Kaufkraft entzieht.
S&P 500: Die letzten Mohikaner
Der breiter aufgestellte S&P wurde natürlich von explodierenden Kursen der Banken in die Höhe getrieben.
Tops:
Washington Mutual explodierte 42% auf 4,25 Dollar. Laut Wall Street Journal denkt die Citigroup über ein Übernahme der angeschlagenen Sparkasse nach. Das im gleichnamigen Bundesstaat beheimatete Kreditinstitut ist tief im Hypothekensumpf versunken.
Kletterpartien legten auch die Geschäftsbanken ein, etwa Wachovia plus 29% auf 18,75 Dollar
Die beiden letzten Mohikaner bei den Investmentbanken zogen ebenfalls scharf an: Morgan Stanley gewann 20,7% auf 27,21 Dollar. Der Finanzkonzern bemüht sich weiter eine Lösung für das Schlamassel zu finden. Laut Reuters redet die angeschlagene Investmentbank weiter „an allen Fronten“. Gespräche gäbe es mit der Geschäftsbank Wachovia, dem chinesischen Staatsfonds China Investment Corp und anderen Institutionen. Das Thema Fusion sie zwar noch nicht vom Tisch (Wachovia?), die Wall Street Firma bevorzuge es aber, eigenständig zu bleiben, vielleicht mit einer Aufstockung der Beteiligung aus China. Die heutige Rallye verschaffe dem Finanzkonzern wieder etwas Luft und damit mehr Zeit, die Optionen abzuwägen, hieß es.
Der verbliebene Rivale Goldman Sachs avancierte 20,2% auf 129,80 Dollar.
Die Eigenheimbauer wurden ebenfalls wieder vom Rettungsprojekt beschwingt: KB Home plus 6,7% und Lennar plus 11,6%.
Flops:
Die Aktionäre der beiden Anleiheversicherer Ambac (minus 42%) und MBIA (minus 8%) waren dagegen von der heutigen Party an der Wall Street ausgeschlossen. Spielverderber war wieder einmal die Ratingagentur Moody's. Die Bewertungsfirma drohte damit, das Kreditrating für die beiden Finanz-Goliaths erneut herab zu stufen. Die Verluste wegen der Subprimekrise hätten sich verschlimmert, hieß es. Warum Moody's den Rettungsplan der US-Regierung ignoriert, bleibt das Geheimnis der Firma
Host Hotels & Resort sank 5,9% auf 15,99 Dollar. Das Touristikunternehmen wurde beim Broker Robert W. Baird & Co von „Outperform“ auf „Neutral“ gekappt. Die Einnahmen pro Hotelzimmer gehen zurück, außerdem dämpfte die Krise der Fluggesellschaften die Besucherzahlen, hieß es.
Hershey verbilligte sich 4,8% auf 40,70 Dollar. Der Schokoladenhersteller litt anscheinend darunter, dass die Anleger Nahrungsmittelkonzernen und anderen eher defensiven Aktien die kalte Schulter zeigten.
Nasdaq: Weniger Appetit auf Chips
Obwohl die technologielastige Nasdaq kaum von der Banken-Rallye profitierte, konnte sie - nach einem Endspurt - recht gut mithalten. Dazu trug Oracle bei, mit einem Kurssprung um 7% auf 20,07 Dollar. Der SAP-Rivale übertraf gestern die Gewinnerwartungen der Wall Street und gab einen soliden Ausblick ab. Die Citigroup bekräftigte ihre Kaufempfehlung und Kursziel 25 Dollar. Der Broker Piper Jaffray werte den Software-Titel von „Neutral“ auf „Kaufen“ auf.
Der Dow-Titel Microsoft bröckelte dagegen nachrichtenlos 0,4% auf 25,16 Dollar. Vielleicht lag das daran, dass die Analysten für den Informations-Technologiebereich zunehmend pessimistischer werden. Dell sank jedenfalls 3,6% auf 16,63 Dollar. Die UBS senkte heute ihre Schätzung für die in 2009 verkauften PC-Stückzahlen. Diese Skepsis schien auch die Hersteller der für die PCs benötigten Chips zu belasten. Intel, ebenfalls Dow-Mitglied, gab 0,2% auf 19,23 Dollar ab. Der Philadelphia Semiconductor Sector Index, der 19 Halbleiter-Titel erfasst, underperformte heute mit einem Plus von 1,9 % auf 333,91 Punkte.
Apple gewann dagegen 5,1% auf 140,91 Dollar. Gestern gab es einen Gewinn von 4,7%. Zeitweise war das Papier gestern für 120,68 Dollar zu haben, anscheinend hat hier das Verbot „nackter“ Leerverkäufe geholfen. Der Smartphone-Rivale Research in Motion, Hersteller des BlackBerry, hielt mit und verbesserte sich um 5,4% auf 103,44 Dollar.
Der Smartphon-Pionier Palm verlor dagegen 6,6% auf 7,93 Dollar. Gestern war die Aktie allerdings - auch wegen Eindeckung von Leerverkäufen - um 18% gesprungen. Der Elektronikkonzern übertraf zwar gestern die Gewinn- und Umsatzerwartungen, gab aber - den inzwischen fast üblichen - enttäuschenden Ausblick ab.
Zu den Zugpferden der Nasdaq zählte auch McAfee mit einem Gewinn von 6,2% auf 37,31 Dollar. Der Spezialist für Sicherheits-Software bekam heute Rückenwind durch ein gnädiges Brokerurteil. Der Broker Friedman Billings beförderte den Software-Titel von „Underperform“ auf „Market Perform“. Das Kursziel bleibt bei 33 Dollar. Die Aktie sei in wenigen Wochen um 12 Prozent gefallen, damit habe sich das Risiko-Chance-Profil für die Anleger verbessert, hieß es dort. Inzwischen sei das abgeschwächte IT-Umfeld (flaue Softwarenachfrage) weitgehend eingepreist.
Internet: Digitaler Milchskandal?
Google avancierte 2,3% auf 449,15 Dollar. Dort hat der Schwung schon wieder nachgelassen. Gestern hatte der Onlineriese noch 6% zugelegt. Bereits gestern wurde gemeldet, dass der Suchmaschinenkönig seinen Marktanteil in den USA im August auf 63% ausweitete (Juli: 61,9%). Yahoo verlor 4,5% auf 19,89 Dollar und musste damit wieder einen Teil seines gestrigen Kursgewinns von 11% rausrücken. Baidu.com gab 5% auf 289,75 Dollar ab, gestern war das Papier 20% gestiegen. Die führende Internet-Suchmaschine in China (Marktanteil rund 60%) wird derzeit von einigen Kritikern mit dem chinesischen Milchskandal in Verbindung gebracht, schrieb das Wall Street Journal. Gegner des Onlinedienstleisters behaupteten, Baidu.com habe Nachrichten zum Milchskandal (Milchpulver wurde ein giftiger Stoff beigemischt, um die Gewinne der Milchproduzenten zu steigern) unterdrückt. Diese Behauptung wurde allerdings von der in Beijing ansässigen Firma dementiert. Das Wall Street Journal sieht die Vorwürfe auch im Zusammenhang mit dem Neid den Wachstum und Marktführung hervorrufen. Schon seit Tagen leidet die Aktie unter der Meldung, dass verschiedene Onlineportale und Gemeinschaftsnetzwerke in China den Suchmaschinen von Baidu den Zugang verwehren und sie blockieren.
Amazon.com kletterte dagegen 5,9% auf 81,00 Dollar. Gestern hatte Onlinehändler schon 7% gewonnen. Bereits zum Wochenanfang wurde ein Deal der Seattler mit MySpace bekannt. Dabei richtet der E-Commerce-Pionier für das Gemeinschaftsnetzwerk einen MP3-Download-Shop ein. Der Rivale Ebay verbesserte sich 0,7% auf 23,17 Dollar.
Öl: Stabilisierung der Finanzmärkte verteuert Energie
Im Gegensatz zum Goldpreis profitierte der Ölpreis von der Stabilisierung der Finanzmärkte. Der Crude-Kontrakt für Oktober stieg heute an der New York Mercantile Exchange um 6,67 auf 104,55 Dollar, berichtet MarketWatch. Das ist allerdings kontraproduktiv, weil der dadurch erzeugte Kaufkraftentzug bei den Verbrauchern die ohnehin schon wegen überhöhter Rohstoffpreise angeschlagene Konjunktur wieder schwächt, zumal die Energiekosten für die Unternehmen steigen.
Gold: Stabilisierung der Finanzmärkte bringt Preis zum Absturz
New York (BoerseGo.de) - Gestern hatte das Gold von der Panik profitiert, heute brachte die Stabilisierung den Schmuckmetallpreis wieder zum Absturz. Der Gold-Kontrakt für Dezember verlor heute 32,30 Dollar auf 864,70 Dollar. Zeitweise verbilligte sich der Rohstoff um 68,50 Dollar, also 7,6%, berichtet MarketWatch.
Ausblick:
Montag:
Quartalszahlen: 3Com (Netzwerkausrüster)
Dienstag:
Mittwoch:
14:30 Uhr Verkauf bestehender Eigenheime vom August, 16:35 Uhr Ölvorräte der Vorwoche
Quartalszahlen: Nike
Donnerstag:
14:30 Uhr Arbeitslosenmeldungen der Vorwoche und Auftragseingänge für dauerhafte Güter vom August, 16:00 Verkauf neuer Eigenheim vom August
Quartalszahlen: Research in Motion (Smartphones: BlackBerry), Tibco Software
Freitag:
14:30 Wirtschaftswachstum 2. Quartal (2. Revision)
Quartalszahlen: KB Home (Eigenheimbauer)
(© BörseGo AG 2007 - http://www.boerse-go.de, Autor: Maier Gerhard, Redakteur)