
DJ Kommentar der Financial Times Deutschland zur Finanzkrise - vorab 22.9.2008
Nur einer hat noch Kredit Es ist ein unklarer, fragwürdiger, sehr teurer und womöglich nicht einmal rettender Weg, den die amerikanische Regierung jetzt einschlägt, um einen drohenden Totalkollaps des Finanzsystems abzuwenden. Aber es ist der einzige Weg, der ihr zuletzt überhaupt noch offen stand. Der am Wochenende vorgestellte Plan des US-Finanzministers für die Stabilisierung der Wall Street ist in seinem Finanzumfang historisch beispiellos. Er sieht Vollmachten für die Exekutive vor, die Züge eines Ermächtigungsgesetzes tragen. Doch angesichts der blanken Panik, die Ende vergangener Woche die Finanzmärkte erfasste, war ein solches Signal zwingend notwendig. Finanzminister Henry Paulson hat den Märkten nun eine âEUR systemische Lösung' der Krise versprochen: einen Staatsfonds der US-Instituten für mindestens 700 Mrd. $ notleidende Wertpapiere abkaufen soll, dazu eine staatsfinanzierte Absicherung für die akut gefährdeten Geldmarktfonds sowie ein Verbot von Leerverkäufen an den Aktienbörsen, dem inzwischen auch andere Länder einschließlich Deutschland gefolgt sind. Mit diesem âEUR systemischen' Ansatz wird zunächst einmal anerkannt, dass alle bisherigen Versuche gescheitert sind, die Krise von Einzelfall zu Einzelfall zu lösen. So plausibel es auch war, auf der einen Seite die Größten der Großen wie den Versicherer AIG zum Schutze der Gesamtwirtschaft zu retten, und auf der anderen Seite Pleiten bis in die Dimensionen einer Investmentbank wie Lehman Brothers zuzulassen - Ende vergangener Woche wurde klar, dass es für diesen Weg keine Zeit und keine Nerven mehr gab. Die Abwärtsspirale fing an, sich dramatisch zu verselbständigen. Ein Finanzsystem, in dem jeder mit dem stündlichen Zusammenbruch wichtiger Geschäftspartner kalkuliert, bricht selbst zusammen. Selbst milliardenschwere Liquiditätsspritzen, die die Notenbanken von Tag zu Tag anbieten, bleiben dann wirkungslos. Jeglicher Kreditfluss versiegt, Banken und Industrieunternehmen, die sich nicht mehr refinanzieren können, geraten an den Abgrund. Leerverkäufer, die auf Pleiten spekulieren, heizen die Panik noch an. Dieser Teufelskreis, der auch rasch auf die Realwirtschaft übergreifen kann, musste unbedingt gestoppt werden. Paulsons Rettungsplan war die psychologische Beruhigungspille, die das erst einmal bewerkstelligt hat. Der einzige Akteur, der bislang noch uneingeschränkten Kredit genießt, wird auf dem Markt aktiv: Der amerikanische Staat. Was er genau vorhat, ist allerdings noch gar nicht klar. Und die Art seines Handelns spricht allen Prinzipien von Marktwirtschaft, Transparenz, politischer und rechtlicher Kontrolle Hohn. Paulson hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ihm praktisch über Nacht die freihändige Verfügung über mehr als ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukt zugesteht. Jeglicher Rechtsweg ist ausgeschlossen. Ob der Kongress das so abnicken wird, ist fraglich. Inhaltlich ist der Plan an der entscheidenden Stelle unbestimmt. Die Regierung kündigt an, den angeschlagenen Finanzinstitutionen hypothekenbasierte Papiere âEUR zu Marktpreisen' abzukaufen. Hält sie sich an diese Aussage, dann wird die ganze Aktion letztlich wenig bringen. Denn âEUR zu Marktpreisen' finden die üblen Papiere auch schon heute Käufer. Merrill Lynch etwa trennte sich im Überlebenskampf von einem ganzen Paket - erhielt dafür jedoch nur gut 20 Prozent des Nominalwerts und musste den Rest abschreiben. Natürlich droht in einer Panik die Gefahr, dass die Marktpreise durch immer neue Notverkäufe unter den tatsächlichen Wert gedrückt werden. Der staatliche Käufer kann hier stabilisieren. Wirkliche Entlastung bringt der staatliche Fonds dem Finanzsektor aber nur, wenn er mehr ist, als der größte Geierfonds aller Zeiten, wenn er also deutlich mehr zahlt als die privaten Schnäppchenjäger, die ohnehin schon lauern. Nur so werden Abschreibungen verhindert, nur so kann das ausgezehrte Kapital vieler Banken gestärkt werden. Paulson soll hinter verschlossener Tür bereits erklärt haben, dass âEUR zu Marktpreisen' in Wahrheit âEUR über Marktpreis' heißen werde. Das heißt aber auch, dass die Aktion zum fiskalischen Verlustgeschäft werden muss, bei dem die Bürger für eine Rekapitalisierung des Finanzsektors aufkommen, die inzwischen kein privater Investor und auch kein Staatsfonds mehr leisten will. Ob eine solche Aktion am Ende politisch, psychologisch und ökonomisch aufgeht, ist längst nicht sicher. Das Endspiel dieser Krise hat erst begonnen. Kontakt: Kommentar@ftd.de Thomas Steinmann - 040/31990483 Ruth Fend - 040/31990334 Nils Kreimeier - 030/22074144 Christian Schütte - 030/22074161
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September 21, 2008 12:17 ET (16:17 GMT)
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