DJ Kommentar der Financial Times Deutschland zu Finanzkrise / Europa - vorab 29.9.2008
 Und jetzt Europa Das Brutale an der Finanzkrise ist, dass sie immer dann umso heftiger zuschlägt, wenn man sich gerade auf ein wenig Entspannung eingestellt hat. Kaum haben sich Demokraten und Republikaner in den USA nach tagelangem Ringen auf das 700 Mrd. $ schwere Rettungspaket für die amerikanische Finanzwirtschaft geeinigt, da verschärft sich die Krise in Europa auf dramatische Weise: In Großbritannien kommt die Regierung nicht umhin, die vom Kollaps bedrohte Hypothekenbank Bradford & Bingley zu verstaatlichen. In den Benelux-Staaten herrscht höchste Alarmstimmung, weil die belgisch-niederländische Großbank Fortis um ihr Überleben kämpft und Millionen Kunden ihr Erspartes in Gefahr sehen. Und in Deutschland steht mit dem Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate ein Dax-Konzern kurz vor dem Zusammenbruch. Seit diesem Wochenende ist klar: Das Zentrum der Krise verlagert sich zunehmend nach Europa. Trotz der gigantischen langfristigen Risiken für den US-Staatshaushalt durch das Notfallpaket, an denen auch die Überarbeitung im Kongress nichts geändert hat, stehen die Chancen gut, dass die Milliardenhilfe ihren kurzfristigen Zweck erfüllt: Die schnelle Freigabe dürfte dazu führen, dass sich die Lage an der Wall Street nach den jüngsten Chaostagen erst einmal entschärft. Die Mutter aller Bailouts kann allerdings nicht verhindern, dass die Krise in Europa jetzt erst richtig zu wüten beginnt. Zwar sollen auch ausländische Institute, die eine bedeutende Präsenz in den USA unterhalten, vom Notfallpaket der US-Regierung profitieren. Dass der amerikanische Staat aber reihenweise taumelnde Finanzinstitute in Europa stützen kann, ist nicht zu erwarten. Fatal ist daher, dass die Möglichkeiten der europäischen Regierungen viel begrenzter sind, angeschlagenen Finanzriesen in ihren Ländern beizuspringen. Anders als die Amerikaner haben die Europäer weder die nötigen finanziellen noch die politischen Mittel, um ein tragfähiges Sicherungsnetz für ihre grenzüberschreitend tätigen Großbanken aufzuspannen. Keine europäische Regierung ist allein in der Lage, solche Institute zu stützen. Fortis' Verbindlichkeiten etwa sind um ein Vielfaches höher als die Wirtschaftsleistung Belgiens. Das Dilemma der Europäer ist, dass viele Finanzinstitute dort nicht nur âEUR too big to fail' sind. Für die einzelnen Staaten sind sie auch âEUR too big to be saved'. Hinzu kommt, dass es in Europa keine nationalen Zentralbanken gibt, die kollabierenden Bankenriesen zur Seite springen könnten - so wie es die US-Notenbank Fed zuletzt wieder getan hat. Diese Rolle kann im Zweifelsfall nur die Europäische Zentralbank übernehmen. Dabei ist jedoch klar, dass sich die EZB aufgrund ihrer in den Verträgen garantierten Unabhängigkeit nicht so von den Regierungen herumkommandieren lassen würde, wie es sich die Fed von der US-Regierung gefallen lassen musste. Erschwert würde eine Rettungsaktion darüber hinaus von unterschiedlichen nationalen Interessen. Sowohl im EZB-Rat als auch zwischen den europäischen Regierungen wäre es viel schwieriger als in Washington, sich im Notfall auf eine gemeinsame Reaktion auf die Existenzkrise einer Großbank zu verständigen. Verglichen mit den komplexen Entscheidungswegen in Europa war das Ringen um den Notfallplan im US-Kongress eine leichte Übung. Die Europäer sollten sich schnell auf den Ernstfall vorbereiten, bevor es zu spät ist. Kontakt: Kommentar@ftd.de Thomas Steinmann - 040/31990483 Ruth Fend - 040/31990334 Nils Kreimeier - 030/22074144 Christian Schütte - 030/22074161 Ruth Fend FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND GmbH & Co KG Redaktion Team Kommentar Op-Ed & Commentary Stubbenhuk 3 20459 Hamburg Fon: 040/319 90 - 334 mailto:fend.ruth@ftd.de http://www.ftd.de Financial Times Deutschland GmbH & Co KG, Stubbenhuk 3, 20459 Hamburg; Amtsgericht Hamburg HRA 92810; Komplementärin: Financial Times Deutschland Beteiligungsgesellschaft mbH; Amtsgericht Hamburg HRB 70371; Geschäftsführer: Christoph Rüth
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September 28, 2008 15:36 ET (19:36 GMT)