Der Weg für eine weltumspannende Rettungsaktion des vom Kollaps bedrohten Finanzsystem ist frei: Im Einklang mit den Partnern in der Eurozone will die Bundesregierung an diesem Montag ein Notfallpaket im Wert von 400 Milliarden Euro beschließen, das bis zum Wochenende in einem Eilverfahren Gesetz werden soll. Angesichts des gewaltigen Finanzbedarfs muss die große Koalition das Ziel aufgeben, bis 2011 einen ausgeglichen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen.
Um die dramatische Talfahrt der Börsen rund um den Globus zu stoppen und wieder Vertrauen zu schaffen, garantierten die 185 Mitglieder des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington das Überleben aller wichtiger Banken. Der Krisengipfel der 15 Euro-Länder beschloss in Paris einen Schutzschirm für das gesamte Bankensystem. Nach Angaben des IWF belaufen sich die Verluste der Finanzwirtschaft weltweit schon auf 1,4 Billionen Dollar oder umgerechnet 1 Billion Euro - und der Höhepunkt ist noch nicht erreicht. Das entspricht etwa dem Vierfachen des deutschen Haushalts 2008.
Frankreich und Italien wollen ebenfalls am Montag auf der Grundlage der Gipfelbeschlüsse nationale Rettungspläne beschließen. "Das haben wir abgesprochen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem ersten Treffen der Euro-Gruppe auf Ebene der Staats- und Regierungschefs. Der Gipfel habe einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Finanzkrise geleistet. Die Maßnahmen seien beschlossen worden, "um die Wirtschaft am Laufen zu halten, um den Menschen ihre Guthaben zu sichern und das Finanzsystem zu stabilisieren".
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) nannte am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will" Einzelheiten des Pakets, das die Bundesregierung nach im Laufe der Nacht beschließen wollte. Allein die Bürgschaften für das Kreditgeschäft zwischen den Banken beliefen sich auf eine Größenordnung von bis zu 250 Milliarden Euro. Das Bundeskabinett kommt dann am Morgen in Berlin zu einer Sondersitzung zusammen, um das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, das es auf dem Gebiet der Wirtschaft in dieser eiligen Form noch nie gab.
Es könnte den Steuerzahler nach Schätzungen in den Fraktionen zumindest kurzfristig mit Beträgen von 100 bis 250 Milliarden Euro belasten. Im besten Fall würde der Staat aber letztlich alles Geld zurückerhalten. Nach den Angaben Kauders geht es vor allem um Staatsbürgschaften und direkte Finanzspritzen. Die Banken sollen sich wieder gegenseitig Geld leihen. Zudem soll deren Eigenkapitalbasis gestärkt werden. Wenn die Regierung hier eingreife und Geld gebe, "werden wir das mit massiven Veränderungen" und Einschränkungen bei den Banken verbinden.
Die Regierung wolle etwa das Aktiengesetz ändern und auch das Vergütungssystem in den Führungsetagen. Er betonte, die Maßnahmen werden Ende 2009 auslaufen. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte der "Bild"-Zeitung (Montag): "Unser Etatziel eines ausgeglichenen Haushalts verlieren wir nicht aus den Augen - auch wenn es jetzt länger dauern dürfte." Zuerst müssten die wichtigen Fragen gelöst werden. Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag zur nachhaltigen Sanierung der Staatsfinanzen bekannt. Bund, Länder und Kommunen sitzen auf einem Schuldenberg von etwa 1500 Milliarden Euro. In welchem Jahr ein ausgeglichener Bundesetat erreicht werden soll, wird im Koalitionsvertrag nicht ausdrücklich gesagt.
Das Gesetzespaket soll bereits am Montag den Bundestagsfraktionen, Vertretern des Bundesrats, Bundespräsident Horst Köhler und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Den Informationen zufolge wollen die Koalitionsfraktionen den Gesetzentwurf am Dienstag in den Bundestag einbringen. Nach dem Gipfel der Eurozone sagte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy: "Es geht nicht darum, den Banken ein Geschenk zu machen, sondern unsere Wirtschaft am Funktionieren zu halten." Manager, die ihre Arbeit nicht richtig machten, müssten ihren Platz räumen. Es war der erste Gipfel seit der Bargeldeinführung des Euros 2002.
Die Europäische Zentralbank (EZB) will prüfen, wie sie außer Banken auch anderen Unternehmen frisches Geld verschaffen kann. Das sagte EZB-Präsident Trichet. Die Gipfel-Erklärung "begrüßt" diese Absicht. Die Hilfen sollen auch in der Eurozone bis Ende 2009 begrenzt werden. Sie dürfen nicht den Wettbewerb verzerren. Die Staats- und Regierungschefs aller 27 EU-Staaten kommen am Mittwoch in Brüssel zu einem regulären zweitägigen Gipfel zusammen. Auch bei diesen Beratungen wird die Finanzmarktkrise eine zentrale Rolle spielen.
Die Mitgliedsländer des IWF stellten sich am Samstag ausdrücklich hinter den Aktionsplan der sieben führenden Industriestaaten (G7). Danach wollen die G7 keinen Zusammenbruch einer Bank zulassen, die von großer, "systemrelevanter" Bedeutung ist. IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn zeigte sich auf der Jahrestagung zuversichtlich, dass bereits "in den nächsten Tagen" die Märkte positiv reagieren werden und der Kreditmarkt wieder in Schwung komme. Aufstrebende Wirtschaftsnationen wie China, Indien und Brasilien versicherten nach einer Sondersitzung der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) ebenfalls, dass sie eine aktive Rolle bei der Stabilisierung der Märkte spielen wollen./rom/jd/DP/zb
AXC0079 2008-10-12/22:49