Hamburg (ots) - Die Finanzkrise hat in den vergangenen beiden Tagen eine Verschnaufpause eingelegt. Alle wichtigen Indizes weltweit sind gestiegen. Handelt es sich dabei nur um ein Strohfeuer oder eine dauerhafte Erholung?
Hessler: In Deutschland haben die Wirtschaftsforschungsinstitute gestern keine berauschenden Konjunktur-Prognosen verkündet. In den USA konnte der Dow Jones seine grandiose Rally vom Montag nicht fortsetzen. Es sieht so aus, als würden die Bären wieder die Oberhand gewinnen. Profis und Privatanleger sind einfach verunsichert, da können die Kurse noch eine Weile rauf und runter gehen.
Jetzt wird in vielen Medien so getan, als wären Zertifikate schuld an der Bankenkrise. Was ist da dran?
Hessler: Da ist gar nichts dran. Zertifikate sind Wertpapiere, bei denen Banken stets eine neutrale Position einnehmen. Sie verdienen an der Vermittlung von Geschäften, die Anleger am Markt machen, und sind - im Gegensatz zum Kreditgeschäft - gar nicht mit eigenem Geld involviert. Es hieß ja auch zumindest anfangs Kreditkrise. Und nicht Zertifikatekrise. Irgendwie scheint das in Vergessenheit geraten zu sein.
Wie konnte der falsche Eindruck entstehen?
Hessler: Es war unglücklich, dass Bear Stearns und Lehman Brothers Bankrott gingen, keine Frage. Aber im Vergleich zur Gesamtmenge der am Markt befindlichen Zertifikate sind die Ausfälle dieser beiden Emittenten verschwindend gering, und der Schaden ist mit Sicherheit kleiner als jener, der Jahr für Jahr durch andere Pleiten entsteht. Wenn Sie einem Bauunternehmer Geld geben, und der geht Bankrott, ist es auch dahin. Auch mit vermeintlich sicheren Anleihen haben Anleger schon viel Geld verloren. Denken Sie nur an den Neuen Markt. Aber ist ein böses Gerücht mal in der Welt, wird es gerne von Leuten kolportiert, die auch mal wieder etwas Wichtiges sagen wollen. Wie bei den Diskussionsrunden im Fernsehen. Die sind ja meist nicht durch Fachkenntnis getrübt. Besonders ärgerlich ist, wenn Ex-Banker, deren Institut in ihrer aktiven Zeit die Assetklasse Zertifikate eingeführt hat, dann dort sitzen und diese plötzlich als Teufelswerk diskriminieren. Aber unqualifizierte Kritik ist heute ja üblich. Das trifft nicht nur Zertifikate. Ich habe schon Sendungen gesehen, da wurde über Schönheitsoperationen schwadroniert, und es war kein einziger Facharzt für ästhetisch-plastische Chirurgie dabei.
Der entscheidende Vorteil von Zertifikaten gegenüber anderen Anlagemöglichkeiten ist ja, dass man auch auf sinkende Kurse setzen kann. Anleger konnten in den vergangenen Wochen mit derartigen Short-Zertifikaten hohe Gewinne machen. Jetzt haben sich Anleger beschwert, dass Emittenten diese Short-Zertifikate gekündigt haben, als deren Kurs besonders schlecht war. Diese Anleger fühlen sich übervorteilt. Zu Recht?
Hessler: Nein. Leider haben Short-Zertifikate eine symptomatische Eigenschaft, die in bestimmten, sehr seltenen Fällen eine andere Reaktion als die Kündigung gar nicht zulässt. Wenn ein Anleger auf sinkende Kurse setzt - das Wort Wette wollen ja weder die Anleger noch die Emittenten gerne hören - dann muss die Bank sich absichern für den Fall, dass der Kurs des Basiswerts - also der entsprechenden Aktie - stark sinkt und damit der Kurs des Zertifikats steigt. Die Bank selbst wettet nicht gegen Anleger; das Gegenteil wird zwar wie ein Mantra immer wiederholt, davon wird die Aussage aber nicht richtiger. Banken sind weder Buchmacher noch Wettbüros.
Aber wenn doch immer von Wette die Rede ist - wer wettet denn eigentlich gegen wen?
Hessler: Anleger wetten mit Zertifikaten gegen den Markt. Die Emittenten als Vermittler müssen sich absichern für den Fall, dass ihre Kunden gewinnen. Bei Wetten auf fallende Kurse mit Short-Zertifikaten funktioniert die Absicherung folgendermaßen: Die Bank leiht sich Aktien. Dafür zahlt sie dem Verleiher eine Gebühr. Das ist zugegebenermaßen eine abstrakte Vorstellung, dass Wertpapiere geliehen und verliehen werden. Man sagt ja auch nicht zu einem Freund, "ich leih dir eben mal meine Aktie" statt "ich pump dir 100 Euro". Aber hier hat das alles einen engen Zusammenhang und eine konkrete Aufgabe. Die Emittenten verkaufen die geliehenen Aktien zum aktuellen Kurs. Sinkt der Kurs der Aktie, kann der Emittent sie zu dem jetzt günstigeren Kurs zurückkaufen. Dies macht er normalerweise, sobald der Anleger sein Short-Zertifikat mit Gewinn verkauft und sein investiertes Geld samt Gewinn haben will. Mit der Differenz zwischen Verkaufs- und Kaufpreis der Aktie wird der Gewinn des Zertifikateanlegers finanziert. Die Bank selbst hat also eine neutrale Position. Sie gewinnt weder an steigenden noch an fallenden Zertifikatekursen.
Was war denn die Besonderheit bei den gekündigten Zertifikaten?
Hessler: Das alles funktioniert nur, wenn der Emittent sich tatsächlich Aktien leihen kann. Manchmal gibt es von dem Basiswert eines Zertifikats aber keine Papiere auf dem Markt, zum Beispiel weil alle von einem anderen Investor weggeschnappt wurden und andere Leiher schneller waren. Das kann passieren, wenn wie bei Porsche und VW ein Unternehmen seine Beteiligung an einem anderen Unternehmen aufstocken will und der Kurs der Aktie stark steigt. Dann steht ein Emittent unter Umständen vor einem Problem, weil er seine Absicherungsaktien nicht mehr leihen kann. Da er sich aber absichern muss, um seine neutrale Position zu gewährleisten, bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Zertifikat zu kündigen.
Warum waren die Anleger von der Kündigung so überrascht?
Hessler: Die Kündigungsmöglichkeit und ihre Voraussetzungen werden in den Info-Unterlagen der Emittenten beschrieben. Aber wie das so ist: Man liest sich eben in der Anfangseuphorie einer vertraglichen Beziehung nicht immer alles genau durch. Das gilt für Zertifikate wie für Ratenkäufe oder Eheverträge.
Das Interview führte Jörg Zimmermann, Redakteur beim Deutschen Informations-Service DIS.
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Hessler: In Deutschland haben die Wirtschaftsforschungsinstitute gestern keine berauschenden Konjunktur-Prognosen verkündet. In den USA konnte der Dow Jones seine grandiose Rally vom Montag nicht fortsetzen. Es sieht so aus, als würden die Bären wieder die Oberhand gewinnen. Profis und Privatanleger sind einfach verunsichert, da können die Kurse noch eine Weile rauf und runter gehen.
Jetzt wird in vielen Medien so getan, als wären Zertifikate schuld an der Bankenkrise. Was ist da dran?
Hessler: Da ist gar nichts dran. Zertifikate sind Wertpapiere, bei denen Banken stets eine neutrale Position einnehmen. Sie verdienen an der Vermittlung von Geschäften, die Anleger am Markt machen, und sind - im Gegensatz zum Kreditgeschäft - gar nicht mit eigenem Geld involviert. Es hieß ja auch zumindest anfangs Kreditkrise. Und nicht Zertifikatekrise. Irgendwie scheint das in Vergessenheit geraten zu sein.
Wie konnte der falsche Eindruck entstehen?
Hessler: Es war unglücklich, dass Bear Stearns und Lehman Brothers Bankrott gingen, keine Frage. Aber im Vergleich zur Gesamtmenge der am Markt befindlichen Zertifikate sind die Ausfälle dieser beiden Emittenten verschwindend gering, und der Schaden ist mit Sicherheit kleiner als jener, der Jahr für Jahr durch andere Pleiten entsteht. Wenn Sie einem Bauunternehmer Geld geben, und der geht Bankrott, ist es auch dahin. Auch mit vermeintlich sicheren Anleihen haben Anleger schon viel Geld verloren. Denken Sie nur an den Neuen Markt. Aber ist ein böses Gerücht mal in der Welt, wird es gerne von Leuten kolportiert, die auch mal wieder etwas Wichtiges sagen wollen. Wie bei den Diskussionsrunden im Fernsehen. Die sind ja meist nicht durch Fachkenntnis getrübt. Besonders ärgerlich ist, wenn Ex-Banker, deren Institut in ihrer aktiven Zeit die Assetklasse Zertifikate eingeführt hat, dann dort sitzen und diese plötzlich als Teufelswerk diskriminieren. Aber unqualifizierte Kritik ist heute ja üblich. Das trifft nicht nur Zertifikate. Ich habe schon Sendungen gesehen, da wurde über Schönheitsoperationen schwadroniert, und es war kein einziger Facharzt für ästhetisch-plastische Chirurgie dabei.
Der entscheidende Vorteil von Zertifikaten gegenüber anderen Anlagemöglichkeiten ist ja, dass man auch auf sinkende Kurse setzen kann. Anleger konnten in den vergangenen Wochen mit derartigen Short-Zertifikaten hohe Gewinne machen. Jetzt haben sich Anleger beschwert, dass Emittenten diese Short-Zertifikate gekündigt haben, als deren Kurs besonders schlecht war. Diese Anleger fühlen sich übervorteilt. Zu Recht?
Hessler: Nein. Leider haben Short-Zertifikate eine symptomatische Eigenschaft, die in bestimmten, sehr seltenen Fällen eine andere Reaktion als die Kündigung gar nicht zulässt. Wenn ein Anleger auf sinkende Kurse setzt - das Wort Wette wollen ja weder die Anleger noch die Emittenten gerne hören - dann muss die Bank sich absichern für den Fall, dass der Kurs des Basiswerts - also der entsprechenden Aktie - stark sinkt und damit der Kurs des Zertifikats steigt. Die Bank selbst wettet nicht gegen Anleger; das Gegenteil wird zwar wie ein Mantra immer wiederholt, davon wird die Aussage aber nicht richtiger. Banken sind weder Buchmacher noch Wettbüros.
Aber wenn doch immer von Wette die Rede ist - wer wettet denn eigentlich gegen wen?
Hessler: Anleger wetten mit Zertifikaten gegen den Markt. Die Emittenten als Vermittler müssen sich absichern für den Fall, dass ihre Kunden gewinnen. Bei Wetten auf fallende Kurse mit Short-Zertifikaten funktioniert die Absicherung folgendermaßen: Die Bank leiht sich Aktien. Dafür zahlt sie dem Verleiher eine Gebühr. Das ist zugegebenermaßen eine abstrakte Vorstellung, dass Wertpapiere geliehen und verliehen werden. Man sagt ja auch nicht zu einem Freund, "ich leih dir eben mal meine Aktie" statt "ich pump dir 100 Euro". Aber hier hat das alles einen engen Zusammenhang und eine konkrete Aufgabe. Die Emittenten verkaufen die geliehenen Aktien zum aktuellen Kurs. Sinkt der Kurs der Aktie, kann der Emittent sie zu dem jetzt günstigeren Kurs zurückkaufen. Dies macht er normalerweise, sobald der Anleger sein Short-Zertifikat mit Gewinn verkauft und sein investiertes Geld samt Gewinn haben will. Mit der Differenz zwischen Verkaufs- und Kaufpreis der Aktie wird der Gewinn des Zertifikateanlegers finanziert. Die Bank selbst hat also eine neutrale Position. Sie gewinnt weder an steigenden noch an fallenden Zertifikatekursen.
Was war denn die Besonderheit bei den gekündigten Zertifikaten?
Hessler: Das alles funktioniert nur, wenn der Emittent sich tatsächlich Aktien leihen kann. Manchmal gibt es von dem Basiswert eines Zertifikats aber keine Papiere auf dem Markt, zum Beispiel weil alle von einem anderen Investor weggeschnappt wurden und andere Leiher schneller waren. Das kann passieren, wenn wie bei Porsche und VW ein Unternehmen seine Beteiligung an einem anderen Unternehmen aufstocken will und der Kurs der Aktie stark steigt. Dann steht ein Emittent unter Umständen vor einem Problem, weil er seine Absicherungsaktien nicht mehr leihen kann. Da er sich aber absichern muss, um seine neutrale Position zu gewährleisten, bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Zertifikat zu kündigen.
Warum waren die Anleger von der Kündigung so überrascht?
Hessler: Die Kündigungsmöglichkeit und ihre Voraussetzungen werden in den Info-Unterlagen der Emittenten beschrieben. Aber wie das so ist: Man liest sich eben in der Anfangseuphorie einer vertraglichen Beziehung nicht immer alles genau durch. Das gilt für Zertifikate wie für Ratenkäufe oder Eheverträge.
Das Interview führte Jörg Zimmermann, Redakteur beim Deutschen Informations-Service DIS.
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