
DJ Börse Frankfurt/Hüfners Wochenkommentar: Das Ende der Deflation
24. Juli 2009. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Je stärker die Preise fallen, umso weniger scheinen sich die Menschen für Deflation zu interessieren. In den USA liegt der Verbraucherpreisindex inzwischen um 1,4 Prozent unter Vorjahr, in der Schweiz um 1 Prozent und Europa um 0,1 Prozent. Trotzdem ist Deflation kein Thema. Die wichtige Rede des amerikanischen Notenbankpräsidenten Bernanke in dieser Woche vor dem Kongress beschäftigte sich fast ausschließlich mit den Gefahren der Preissteigerung. Von Deflation war nicht oder fast nicht die Rede. Wie kommt es, dass sich inzwischen selbst in den USA niemand mehr um Deflation kümmert? Wie steht es mit den Inflationsgefahren wirklich? Und wie kann man darauf reagieren? Ich hatte bereits vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass die Deflationsgefahren nur eine vorübergehende Erscheinung sind. Das bestätigt sich jetzt. Fast genau vor einem Jahr erreichte der Ölpreis mit fast 160 US-Dollar je Barrel seinen Höhepunkt. Von dann an ist er bis En-de 2008 um 75 Prozent eingebrochen. Auch die Preise für andere Rohstoffe gingen in den Keller. Dazu kam die schlechte Konjunktur. All das wirkte sich natürlich im Index der Verbraucherpreise aus. Er verringerte sich in der zweiten Hälfte des Jahres in den USA um 4,5 Prozent, in der Eurozone um 1,5 Prozent. Das war die Deflation. Damit ist es jetzt aber vorbei. Die Rohstoffpreise sind seit Jahresbeginn wieder gestiegen. Die Nahrungsmittelpreise haben sich auf niedrigem Niveau stabilisiert. Die Rezession hat ihren Boden erreicht. Die Verbraucherpreise steigen wieder. Nur zeigt sich das noch nicht in den Veränderungsraten im Vorjahresvergleich. Diese Veränderungen spiegeln nämlich nicht nur die aktuelle Entwicklung wider, sondern auch die der letzten zwölf Monate. Sie reagieren also immer etwas verspätet. Bis September sollte das Ende der Deflation aber auch in den Vorjahreszahlen angekommen sein. Dann gibt es wieder Preissteigerung. Selbst wenn sich die Preise in den kommenden Monaten nicht mehr erhöhen sollten (was ich nicht glaube), wird die Inflationsrate basisbedingt ansteigen. In den USA läge sie im Dezember wieder bei 2,6 Prozent, in der Eurozone bei 1,4 Prozent. Die Deflation ist vergessen. Im nächsten Jahr wird sich an diesen Raten vermutlich nicht viel ändern. Sollte die konjunkturelle Erholung überraschend stärker ausfallen, dann kann sich die Preissteigerung erhöhen, allerdings wegen der vielen unausgelasteten Kapazitäten nur in Grenzen. Sollte das gesamtwirtschaftliche Wachstum dagegen zurückfallen (entsprechend dem Muster des konjunkturellen "W"), dann könnte sich die Inflationsrate etwas verringern. In jedem Fall muss man sich bei den Preisen 2009/10 vorerst keine größeren Sorgen machen. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn die Inflation in dieser Zeit wegen zu guter Konjunktur aus den Fugen gerät. Die Raten bleiben mit größter Wahrscheinlichkeit in etwa innerhalb der von den Zentralbanken angepeilten Zielzonen. Nur wenn die Konjunktur weltweit ganz wegkippt (also das japanische Modell hoch 2), mit entsprechenden Wirkungen auf die Rohstoffpreise, geht auch die Inflation wieder zurück. Danach sieht es im Augenblick aber nicht aus. Das ist aber nur die eine Hälfte der Geschichte. Jeder weiß, dass hinter den Kulissen dunkle Wolken aufziehen. Da ist einmal der über alle bisherigen Vorstellungen hinausgehende Anstieg der Staatsverschuldung. Er ist noch nicht zu Ende. Zum Teil wird über weitere Konjunkturprogramme gesprochen, auch Programme für die Banken, um sie zu mehr Krediten anzuregen. Hinzu kommen die wegbrechenden Steuereinnahmen. Und dazu dann auch noch Mehrausgaben wegen der steigenden Arbeitslosigkeit. In Deutschland wird sich nach den Berechnungen der Regierung allein das Defizit des Bundes 2010 noch einmal verdoppeln. Das andere ist die extrem starke Aufblähung der Liquidität durch die lockere Geldpolitik. Auch hier liegt der Höhepunkt noch nicht hinter uns. Die Europäische Zentralbank hat erst vor einigen Tagen damit begonnen, im Rahmen ihres neuen Programmes Pfandbriefe am Kapitalmarkt zu kaufen. Sie hat den Banken Liquidität für ein Jahr in Höhe von 440 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Manch einer sagt, das sei für die Preise nicht so schlimm, denn das Wachstum der Geldmenge M3 habe sich binnen Jahresfrist von knapp 10 auf inzwischen nur noch 3,7 Prozent verringert. Diese Zahlen sind jedoch wegen der niedrigen Zinsen verzerrt. Nimmt man die Geldmenge M1 - das sind die Bargeldbestände plus die Sichteinlagen, also das Geld, das unmittelbar als Kaufkraft an den Märkten zur Verfügung steht -, so zeigt sich eine deutliche Beschleunigung des Wachstums. stagnierte vor einem Jahr, heute steigt es um knapp 8 Prozent. Hier hat sich eine neue Blase gebildet. Wir wissen inzwischen, wie gefährlich Blasen sein können. Hohe Staatsverschuldung und überbordende Liquidität ergeben zwangsläufig Inflation - allerdings erst, wenn sich die Konjunktur wieder erholt und die Unternehmen die Preise auf den Märkten erhöhen können. Diese Bedingung wird so wie es jetzt aussieht frühestens 2011/12 gegeben sein. Zentralbanken und Regierungen haben also noch Zeit, um die Blase zu entschärfen. Auch Anleger können sich mit der Vorbereitung Zeit lassen. Wie schützt man sich am besten gegen Inflation? Die üblichen Rezepte sind bekanntlich Sachwerte, also Gold, solide Aktien, Immobilien und Rohstoffe. Anleihen sind kontraproduktiv, weil bei steigenden Renditen die Kurse fallen. Ein Ausweg sind hier Floater, bei denen der Zins an die veränderten Marktgegebenheiten angepasst wird. Hier gibt es zwei Modelle: Entweder die regelmäßige Anpassung der Zinsen an die Inflationsrate oder aber die Anpassung an den Geldmarktsatz (zum Beispiel den 3- oder 6-Monatssatz bei Euribor). Ein Leser fragte dieser Tage, welche Variante hier die bessere sei. Meine Antwort: Unter den absehbaren Bedingungen sind Produkte, die an den Euribor gekoppelt sind, eindeutig die bessere Lösung. Der Grund liegt darin, dass der gefährliche Anstieg der Inflation vermutlich erst 2011/12 kommen wird. Erst dann wird sich die Rendite von inflationsgeschützten Produkten erhöhen. Die Entwicklung des Euribors dagegen folgt weitgehend der Zinspolitik der Zentralbanken. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Zentralbanken früher reagieren. Sie wollen einen Anstieg der Inflation ja schon verhindern bevor er kommt. Ich vermute, dass die Geldmarktsätze bereits im Verlauf des kommenden Jahres angehoben werden. Wer auf den Euribor setzt, hat also schon dann höhere Zinsen und nicht erst, wenn die Preissteigerung tatsächlich in die Höhe geht. © 24. Juli 2009/Martin Hüfner Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. "Europa - Die Macht von Morgen" und "Comeback für Deutschland". Disclaimer Die nachfolgenden News werden Ihnen direkt von der Redaktion von boerse-frankfurt.de bereitgestellt. Die hierin enthaltenen Angaben und Mitteilungen sind ausschließlich zur Information bestimmt. 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July 24, 2009 08:30 ET (12:30 GMT)
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