17. September 2009. Roger Peeters beschäftigt sich in seinem Kommentar heute mit den Auswirkungen der Insolvenz von Lehman Brothers, die sich vor genau einem Jahr ereignet hat. Er analysiert dabei auch die Ursachen der Finanzkrise und wagt einen Ausblick auf die nächsten Monate.
In der ablaufenden Woche hat sich der einjährige "Todestag" der Investmentbank Lehman Brothers zum ersten Mal gejährt. Übersehen konnte, auch abseits der Finanzszene niemand dieses Jubiläum, denn die Zeitungen und Zeitschriften waren und sind voller Geschichten darüber, wie sich die Finanzwelt seitdem geändert hat, oder auch nicht.
Das macht durchaus Sinn. Denn ein Zeitraum von einem Jahr ist ein recht gutes Intervall, um eine kritische Bestandsaufnahme zu machen. Der Zeitrahmen ist lange genug, dass sich emotionale Wogen geglättet haben und übertriebene Kurzfristreaktionen von lang anhaltenden Trends substituiert werden können. Auch sollte der Schaden, der beispielsweise dem Lehman-Debakel selbst zuzuordnen ist, zu quantifizieren sein. Andererseits ist der Abstand kurz genug, dass der Schock noch tief genug sitzt. Die allermeisten derer, die heute im Berufsleben Verantwortung tragen, standen auch schon vor einem Jahr "im Feuer" und haben die entfesselten Kräfte der Finanzkrise abbekommen. Ob diese Schocks denn auch eine heilsame Wirkung hatten, darüber kann in der Tat gezweifelt werden. Auch wenn in der Presse und somit in der öffentlichen Wahrnehmung gerne und viel polarisiert und polemisiert wird: Gänzlich falsch sind die Verurteilungen von kurzfristig ausgerichteten "Bonus-Bankern", die ähnlich spekulative Geschäfte wie noch vor Ausbruch der Krise eingehen, nun denn auch nicht. Es gibt durchaus wieder eine Anhäufung spekulativer Geschäfte, oft mit kurzfristiger Natur. Der Wille etwa der Politik, diese etwas einzugrenzen, ist ja durchaus redlich, doch gilt es auch hier Augenmaß zu behalten und Ursache und Wirkung nicht zu verwechseln.
Letzteres geschieht leider in sehr vielen Teilen der öffentlichen Diskussion sehr häufig. Mittlerweile wird die Finanzkrise gerne so dargestellt, als hätte es eine heile Welt gegeben, ein paar skrupellose Investmentbanker dann mit dem Feuer gezündelt und die unschuldige Wirtschaft dann tief in den Abgrund gerissen. Das ist bei Lichte betrachtet und wohlwollend formuliert unsachlich. Man kann nicht einerseits über den Schmerz des plötzlichen Einbruchs jammern und vergessen, dass es vorher in der Realwirtschaft einen über den Finanzsektor (genauer gesagt eine expansive Geldpolitik und eine nicht nur in den USA ausschweifende Kreditvergabe) erwirkten überzogenen Boom gab. Als beispielsweise etliche wenig vermögende Amerikaner ihre Häuser zu Mondpreisen beliehen hatten und mit diesem Geld kräftig konsumierten (etwa deutsche Autos oder Gebrauchsgüter, die in Asien auf deutschen Maschinen produziert wurden), hat sich niemand beschwert. Als diese fast schon künstlich erwirkte Nachfrage indes abrupt ausblieb, war das Geschrei groß. Sich nun über unverantwortliche Subprime-Kredite aufregen gehört zum guten Ton, aber die positiven Effekte wurden in der Vergangenheit sehr gerne mitgenommen.
Wie geht es nun weiter? Weltweit wird der gefährliche, aber kurzfristig wohl alternativlose Weg gegangen, den Turkey mit einer noch größeren Menge Rauschgift zu bekämpfen, um es bildlich auszudrücken. Natürlich wäre es falsch gewesen, die Weltwirtschaft völlig abstürzen zu lassen, doch wird momentan durch die expansive Geld- und Schuldenpolitik definitiv an der nächsten Bubble gebastelt. An die Möglichkeit, der Wirtschaft wieder rechtzeitig Liquidität zu entziehen respektive dem Schuldenmachen im öffentlichen Sektor Einhalt zu gebieten, kann man glauben, muss man aber nicht.
Alle noch so gut gemeinten Hinweise, dass das Finanzsystem durch längerfristige Vergütungsanreize oder transparentere Kapitalmärkte aufgewertet werden sollen, sind im Jahr 1 nach Lehman aller Ehren wert und sollten auch gerne Gehör finden. Doch sollten bei allem (auch politisch motivierten) Geschrei über diese Symptome die Ursachen der Krise nicht vergessen werden. Das scheint nicht überall angekommen zu sein. Denn alle die, die momentan etwa laut einfordern, dass die Wirtschaft mit viel Krediten und Liquidität zugepumpt werden muss, haben vielleicht nicht ganz erkannt, was das Grundproblem war und vielleicht bald wieder ist.
© 17. September 2009/Roger Peeters
*Roger Peeters ist Vorstand der Close Brothers Seydler Research AG, einer Tochter der Frankfurter Wertpapierhandelsbank Close Brothers Seydler Bank. Zuvor leitete Peeters viele Jahre die Redaktion der "Platow Börse" und beriet den von ihm konzipierten DB Platinum III Platow Fonds. 2008 erschien von ihm 'Finde die richtige Aktie - ein Profi zeigt seine Methoden' im Finanzbuchverlag. Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
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