Trotz eines abgeschwächten Jobaufschwungs gibt es in Deutschland weiterhin so wenig Arbeitslose wie in kaum einem anderen Land der Eurozone. Mit einer EU-Arbeitslosenquote von 5,4 Prozent rangiert Deutschland nun gleichauf mit Luxemburg auf dem dritten Platz, wie die EU-Statistikbehörde am Dienstag mitteilte. Weniger Arbeitslose gab es nach den aktuellsten Daten vom Juni nur noch in den Niederlanden (5,1 Prozent) und Österreich (4,5 Prozent). Insgesamt hat die Arbeitslosigkeit im Euroraum nach Angaben der EU-Behörde im Juni mit 17,8 Millionen Menschen einen neuen Höchststand erreicht. Die Europäische Union berechnet die Arbeitslosigkeit nach anderen Kriterien als die deutsche Bundesagentur für Arbeit (BA).
Unterdessen hat der Jobaufschwung in Deutschland im Juli weiter an Fahrt verloren. Nach Angaben der Bundesagentur vom Dienstag ist die Zahl der Arbeitslosen um 67.000 auf 2.876.000 gestiegen. Trotz der überdurchschnittlich starken Zunahme war die Juli-Arbeitslosigkeit aber so niedrig wie zuletzt vor elf Jahren. Auch ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt weiterhin besser als im Vorjahr - damals waren 63.000 Männer und Frauen mehr arbeitslos. Die von der BA ermittelte Arbeitslosenquote stieg im Juli um 0,2 Punkte auf 6,8 Prozent.
BA-Chef Frank-Jürgen Weise zeigte sich trotz der leichten Abschwächung weiterhin zuversichtlich: "Das ist noch nicht die Trendwende", stellte Weise mit Blick auf die weiterhin gute Beschäftigungslage klar. Auch hält er die aktuelle Lage anders als Volkswirte deutscher Großbanken keineswegs für eine "Delle" auf dem Arbeitsmarkt. "Wir haben eine nachlassende Dynamik in guter Entwicklung", unterstrich der BA-Manager und verwies dabei auf die hohe Zahl der offenen Stellen.
Auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht derzeit keine negativen Auswirkungen der Euro-Schuldenkrise auf die Beschäftigung - trotz des unruhigen Umfelds. "Wir sehen zurzeit keine Anzeichen für krisenhafte Einbrüche. Aber die konjunkturellen Rahmenbedingungen sind natürlich so, dass skeptische Aussichten überwiegen", sagte die Ministerin in Berlin. Der Arbeitsmarkt sei jedoch robust und liege auf einem guten, soliden Niveau. Für Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) werden "die Fortschritte (...) zwar kleiner, der Arbeitsmarkt bleibt aber in der Spur". Aktuell gebe es Gegenwind aus dem europäischen Umfeld bei zunehmenden konjunkturellen Risiken.
Der Anstieg der Juli-Arbeitslosigkeit hat nach Einschätzung der BA hauptsächlich saisonale Gründe. Das jahreszeitlich bedingte Plus gehe darauf zurück, dass sich viele Jugendliche nach dem Abschluss ihrer Schul- oder Berufsausbildung vorübergehend arbeitslos melden. Darüber hinaus endeten am Schluss des zweiten Quartals viele befristete Arbeitsverträge; Neueinstellung verschöben Unternehmen auf die Zeit nach den Werks- oder Sommerferien.
Nach Experteneinschätzung leidet der Arbeitsmarkt jedoch zunehmend auch unter der schwächeren Schubkraft der Konjunktur. Als Beleg verweisen sie auf die erneute Zunahme der saisonbereinigten Arbeitslosenzahl: Auch ohne die jahreszeitlich bedingten Faktoren wäre die Zahl der Erwerbslosen im Juli um 7000 gestiegen. Als Beleg für den seiner Ansicht nach weiterhin robusten Arbeitsmarkt führt der BA-Vorstand dagegen vor allem die weiterhin wachsende Zahl von Arbeitsplätzen an. Die Zahl der Erwerbstätigen - dem statistischen Gegenstück zur Arbeitslosenzahl - stieg nach den jüngsten Daten vom Juni binnen Jahresfrist um 496 000 auf 41,70 Millionen.
Gewerkschaften und Arbeitgeber schauen unterdessen mit Sorgenfalten auf den Arbeitsmarkt. Für DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach zeigt sich, dass sich die Schuldenkrise dort langsam bemerkbar macht. "Saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit inzwischen im vierten Monat in Folge gestiegen", sagte sie in Berlin und sprach von einem "ernsten Warnsignal". Die acht Millionen atypisch Beschäftigten trügen die Hauptrisiken.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte, ungünstige saisonale Einflüsse und die Auswirkungen der dramatischen Finanz- und Staatsschuldenkrise innerhalb der Eurozone hinterließen zunehmend Spuren am bislang stabilen deutschen Arbeitsmarkt. "Die Rezession in einigen EU-Mitgliedstaaten lässt auch die deutschen Unternehmen (...) beim Beschäftigungsaufbau zögern." Vertrauen könne Europa nur zurückgewinnen, wenn die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Europa mit größter Ernsthaftigkeit betrieben werde. Die Linkspartei im Bundestag beklagte derweil weiter "Fehlentwicklungen" am Arbeitsmarkt. Noch immer gebe es zu viele Menschen, die von ihrem Lohn allein nicht leben könnten./kts/DP/jkr
AXC0297 2012-07-31/18:04