Karlsruhe (ots) - Im Grunde ist der Völkermordprozess, bei dem sich Kroatien und Serbien gegenseitig des Genozids beschuldigen, nur noch Formsache, auch wenn dies zynisch klingen mag. Das Verfahren, das gestern vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) in Den Haag begann, kommt zu spät und zur Unzeit: Beide Länder haben zuletzt ihre Beziehungen stark normalisiert, man begegnet sich auf Augenhöhe, man will die offenen Fragen pragmatisch lösen. Da kann ein Prozess über die Schuldfrage, wer vor über 20 Jahren den Krieg um die Nachfolge Jugoslawiens begonnen hat, neues Hassklima erzeugen und die frischen Beziehungen einer ernsthaften Belastungsprobe aussetzen. Dumm nur, dass beide Regierungen Jahre mit taktischem Geplänkel vertan haben, bis die Frist, das Verfahren zurückzuziehen, verstrichen war. Besonders Serbien war an einem Rückzug gelegen, denn es hat als einstiger Kriegstreiber die weitaus schlechteren Karten. Gleichwohl wird es am Ende des Verfahrens keinen Sieger geben: Anders als einzelnen Personen kann Staaten die gezielte politische Absicht zum Völkermord juristisch kaum nachgewiesen werden, weshalb es Anfang April wohl zu keinem eindeutigen Urteil des Gerichtshofs kommen wird. Gleichwohl dürfte das Verfahren für radikal nationalistische Kräfte ein willkommener Anlass sein, aufgestaute Wut und Enttäuschung loszuwerden. Ein Gericht wäre ohnehin kein guter Ort für Vergangenheitsbewältigung, es kann Versöhnung nicht anordnen. Dazu braucht es viel Aufklärung und Bereitschaft dazu, und vor allem eine gemeinsame geschichtliche Aufarbeitung ohne Scheuklappen. Leider haben bislang weder Kroatien noch Serbien ernsthaft damit begonnen.
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