Von Robert Wall, Monica Houston-Waesch und Klaus Brune
LONDON/FRANKFURT (Dow Jones)--Einer der beiden Piloten an Bord des verunglückten Airbus A320 der deutschen Germanwings hat offenbar das Cockpit der Unglücksmaschine verlassen, kurz bevor das mit 150 Menschen an Bord verunglückte Flugzeug in seinen tödlichen Sinkflug überging. Nach Angaben einer mit den bisherigen Untersuchungsergebnissen vertrauten Person konnte er anschließend aus noch nicht geklärten Gründen nicht wieder ins Cockpit zurückkehren. Damit rückt der Türschlossmechanismus der Cockpit-Türen in den Airbus A320 in den Mittelpunkt des Interesses.
Gesicherte Cockpit-Türen sind nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in der gesamten Luftfahrtindustrie weitgehend zum Standard geworden. Damals waren Entführer mit Gewalt in die Pilotenkanzel zweier Maschinen eingedrungen, hatten die Piloten überwältigt und anschließend die Flugzeuge in das World Trade Center in New York gesteuert. Die Flugsicherungen in den meisten Ländern haben darauf schnell reagiert und geschützte Türen zum Cockpit zum Standard gemacht.
Airbus hat für sein Hochsicherheits-Türsystem bereits 2002 die Zulassung erhalten. Bei den Maschinen des deutsch-französischen Flugzeugbauers sind die Türen mit einem elektronischen Zugangsfeld ausgestattet. Über dieses Panel können die Kabinenmitglieder nach einem genau beschriebenen Vorgang in die Pilotenkanzel kommen, wenn sie den Verdacht hegen, dass die Piloten dort nicht mehr handlungsfähig sind. Allerdings können die Piloten den Zugang aus dem Cockpit heraus mit einem Schalter komplett blockieren.
Im Normalfall öffnen die Piloten über einen Schalter in den Armaturen die Tür zur Kanzel. Wenn ein bestimmtes Prozedere nicht eingehalten wird, sind sie verpflichtet, den Zugang über diesen Schalter komplett zu sperren. In diesem Fall ist das Zugangsfeld für fünf Minuten blockiert, sofern die Piloten den Zugang nicht vorher wieder von innen freigeben.
Im Notfall versuchen Crewmitglieder zunächst über das Interkom-System des Fliegers mit den Piloten in der Kanzel Kontakt aufzunehmen. Sollte es darauf zwei Mal keine Antwort aus dem Cockpit geben und auch die "Klingel" im elektronischen Zugangsfeld zu keiner Reaktion führen, können die Crew-Mitglieder einen Notfall-Code über das Tastenfeld eingeben. In diesem Fall erfolgt für 30 Sekunden eine akustische Alarmierung im Cockpit, dass jemand in die Kanzel kommen will. Bei einer Gefahr hätten die Piloten jetzt also eine halbe Minute lang die Möglichkeit, den Zugang zu sperren. Geschieht das nicht, haben die Crewmitglieder anschließend 5 Sekunden Zeit, die Tür zu öffnen.
In Europa haben die Fluggesellschaften gewisse Freiräume dabei, ob und unter welchen Bedingungen sie ihren Piloten erlauben, das Cockpit während des Fluges zu verlassen. Bei der Lufthansa hieß es am Mittwoch dazu, in bestimmten Phasen eines Flugs sei es möglich, dass einer der Piloten die Kanzel kurzzeitig verlassen könne. Es sei normal, dass ein Pilot auch einmal alleine im Cockpit verbleibe. Die Tür schließe sich automatisch, und der Pilot in der Kanzel könne seinen Kollegen wieder hineinlassen, wenn er sich von dessen Identität überzeugt habe, sagte ein Sprecher der Lufthansa. Weitere Aussagen zum konkreten Fall wollte er nicht machen.
Sowohl der Pilot als auch der Co-Pilot wurden bei der Lufthansa ausgebildet. Der erfahrene Pilot war seit 2014 bei Germanwings, nachdem er zuvor viele Jahre bei Lufthansa und Condor im Einsatz war. Er hat mehr als 6.000 Flugstunden absolviert, darunter das Gros auf Airbus-Fliegern. Der Co-Pilot kam 2013 zu Germanwings und hatte bislang erst 630 Flugstunden abgeleistet. Er absolvierte sein Training im Ausbildungszentrum der Lufthansa in Bremen.
Persönliche Details zu den beiden Piloten, wie deren Name und Alter, wolle die Fluggesellschaft "aus Rücksicht auf die Angehörigen" nicht bekanntgeben, sagte eine Sprecherin von Germanwings.
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March 26, 2015 07:44 ET (11:44 GMT)
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