Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Der Bundeshaushalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gerät inzwischen angesichts der Belastungen durch die Flüchtlingskrise zunehmend unter Druck. Die Beträge summieren sich inzwischen, und weitere werden folgen: Die EU-Hilfszusagen von drei Milliarden Euro, von denen ein großer Teil auf Deutschland entfallen wird, sind bisher ebenso wenig eingelöst wie ein erst am Donnerstag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigtes Kreditpaket von 500 Millionen Euro für den Irak.
Doch mittlerweile wird immer offenbarer, dass solche Beträge nur die Spitze des Eisbergs sind. Schon zu Beginn der Aufstellungsgespräche für den Haushalt 2017 werden aus den einzelnen Kabinettressorts mehr Mittel zur Bewältigung der Migrationswelle eingefordert. Erst am Freitag meldete sich Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) und verlangte 1,3 Milliarden Euro zusätzlich für die Unterbringung der Flüchtlinge im sozialen Wohnungsbau. Zuvor ist schon Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei Schäuble vorstellig geworden und hat 500 Millionen Euro mehr gefordert, um die Migranten in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren.
Der Finanzminister wies die Höhe dieser Forderungen zwar umgehend zurück. "Jetzt macht einmal ein bisschen langsam", forderte er die Kabinettsmitglieder bei einer Pressekonferenz in Brüssel auf und konstatierte mit Blick auf die zunehmenden Ansprüche: "Wenn ich morgens Nachrichten höre, steigt mein Blutdruck immer schon, ohne dass ich Kaffee trinke." Gebraucht werde "jeder Euro". Doch Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz hob bei einer Pressekonferenz in Berlin ausdrücklich hervor, an der Budgetentscheidung beteiligt sei "das Kabinett in Gänze".
Finanzfolgen eines "Marshallplans" nicht absehbar
Schäuble hat deshalb wohl wenige Möglichkeiten, solchen Forderungen rigoros einen Riegel vorzuschieben, wie er dies bei anderen Gelegenheiten oft getan hat. Der Finanzminister hat allerdings auch bereits vielfach betont, die Bewältigung der Flüchtlingskrise genieße "oberste Priorität" für ihn und nicht etwa die Einhaltung der angestrebten schwarzen Null im Bundeshaushalt.
Schäuble selbst hat sogar wesentlich weiter gehende Belastungen in den Raum gestellt, indem er vorgeschlagen hat, mit einer Art "Marshallplan" für die von der Flüchtlingswelle betroffenen Regionen eine Verringerung des Zustroms zu erreichen. Deutschland soll nach seinen Vorstellungen hierzu in einer "Koalition der Willigen" aus anderen EU-Staaten vorangehen, die sich zusätzliche Mittel ebenso wie die Bundesrepublik eher leisten können als andere.
Welche Summen aus einem solchen Engagement auf den Bundeshaushalt zukämen, steht bisher nicht einmal annähernd fest. Doch der Versuch, Flüchtlingskosten etwa mit einer höheren Benzinsteuer zu finanzieren, ist in der deutschen Debatte auf schroffe Ablehnung gestoßen. Es bliebe dann nur der Rückgriff auf das Budget.
Rehberg mahnt den Koalitionspartner SPD
In Schäubles eigener Partei ist man angesichts der sich abzeichnenden Mehrbelastungen bereits besorgt. Fachpolitiker wie der Unions-Haushaltssprecher Eckhardt Rehberg warnen, fiele 2017 die schwarze Null im Budget den Forderungen nach mehr Ausgaben für die Flüchtlinge zum Opfer, könnte es auch schnell zu einer Verletzung der grundgesetzlich festgelegten Schuldenbremse durch den Bund kommen. Der Puffer dafür beträgt nach Angaben aus Rehbergs Umfeld für 2016 gerade einmal gute 4 Milliarden Euro.
Die Verantwortung für überschießende Forderungen im Kabinett sehen Rehberg und andere Unions-Politiker vornehmlich beim Koalitionspartner SPD, der unter anderem 60 Milliarden Euro jährlich für Investitionen und 5 Milliarden für die Integration der Flüchtlinge verlangt hat. Die Forderungen von Nahles und Hendricks muss man in diesem Zusammenhang sehen. Doch Rehberg sieht dafür ausdrücklich "keinen Spielraum".
Auf zusätzliche Belastungen für das Budget des Finanzministers deutet ein Bericht seiner Experten hin, nach dem die deutschen Staatsfinanzen auf lange Sicht nicht zukunftsfest sind. Laut dem neuen "Tragfähigkeitsbericht", den Schäuble am kommenden Mittwoch im Kabinett vorstellen will, droht nach Angaben des Handelsblatts schlimmstenfalls bis zum Jahr 2060 ein Anstieg der gesamtstaatlichen Verschuldung auf rund 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Schuld ist vor allem die alternde Gesellschaft.
Schäuble spielte die Aussagen des Expertenberichts zwar herunter. "Das ist nicht überraschend, dass es da eine Lücke gibt", sagte er in Brüssel, "die muss man im Blick haben." Und seine Ministeriumssprecherin Nadine Kalwey betonte in Berlin, es handele sich hierbei "nicht um Prognosen, sondern um langfristige Modellrechnungen". Doch Schäubles Sorgen um den Haushalt dürften durch den Bericht seiner eigenen Experten noch gewachsen sein.
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February 12, 2016 08:58 ET (13:58 GMT)
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