Ulm (ots) - Nur Abspecken hilft
Von Martin Hofmann Viele Wichtige aus Wirtschaft und Politik wandeln nun wieder durch die Messehallen in Hannover. Vorne weg schreiten die gern als die Mächtigsten dieses Globus titulierten: Barack Obama und Angela Merkel. Sie sind sich einig: Die 500 Millionen Europäer und die 300 Millionen US-Amerikaner brauchen den transatlantischen Freihandel fast wie die Luft zum Atmen. Mit dem TTIP-Abkommen soll alles besser für Arbeitnehmer, Konsumenten, Umwelt werden . Der US-Präsident und die Kanzlerin rühren gemeinsam die Werbetrommel dafür. Was aus den Geheimverhandlungen an die Öffentlichkeit dringt, klingt nicht nach Konsens. Europäische Unternehmen wollen an den lukrativen öffentlichen Ausschreibungen in den USA teilnehmen. Die Amerikaner lehnen ab. Die US-Agrarwirtschaft drängt auf den europäischen Markt. Gentechnisch veränderte Lebensmittel wollen die Europäer nicht zulassen. Die Absicht, die Finanzmärkte für die jeweils andere Seite zu öffnen, stockt. Selbst das Angleichen technischer Standards birgt Hürden, die kaum zu überwinden sind. Auf "Schiedsgerichte", die Streitigkeiten entscheiden sollen, können sich die Verhandler nicht verständigen. Dabei halten Kritiker das von der EU anvisierte System schon für völlig inakzeptabel. Den internationalen Vorgaben für unabhängige Gerichte entspricht es keineswegs, urteilt der Deutsche Richterbund. Es bleibt ein Verfahren, das ausländische Investoren massiv begünstigt, Gesetzgebung beschneidet, offizielle Gerichtsbarkeit umgeht und der Öffentlichkeit keine Rechte garantiert, wenn Investitionsaktivitäten Schäden verursachen. Befürworter eines Freihandels zwischen USA und Europa sollten das Abkommen dringend einer Frühjahrskur unterziehen. Es muss abspecken und sich auf den Kern konzentrieren: Zölle abbauen, Normen und Standards für Waren festlegen, um deren Austausch zu erleichtern. Investoren sollten Schutz vor willkürlichen Eingriffen genießen. Ob sich klare Produktionsvorgaben für Lebens- und Futtermittel finden lassen, ist mehr als fraglich. Die Europäer folgen hier dem Prinzip der Gesundheitsvorsorge, US-Behörden greifen nur bei beweisbaren Risiken ein. Kompromisse sind da kaum zu finden. Für Landwirte, die auf regionale Märkte, hohe Qualität, Tierschutz-Standards und ökologische Nachhaltigkeit zielen, müssen zudem andere Maßstäbe gelten als für Farmer, die Weltmärkte bedienen wollen. Wer beide Absichten auf einen Nenner bringen will, muss Vorgaben so massiv reduzieren, dass sie nur einer Seite nutzen. Zwei Welten prallen im Dienstleistungssektor aufeinander. Die Idee eines freien Marktes steht in diametralem Gegensatz zum gesetzlich verbrieften Recht auf Daseinsvorsorge. Wer etwa Wasser- und Stromversorgung, öffentlichen Nahverkehr, Straßenbau, Abfallbeseitigung, Gesundheitsversorgung, Bildungseinrichtungen und den Strafvollzug als staatliche Aufgaben festschreibt, hat diese auch sicherzustellen. Er muss sie nicht selbst betreiben, aber er wird Regeln vorgeben und durchsetzen. Diese Struktur infrage zu stellen, bedeutet, sich von staatlichen Fundamenten zu verabschieden. Deshalb hat ein Abkommen nur eine Chance auf Akzeptanz, wenn es die zentralen Unterschiede zwischen "alter und neuer Welt" respektiert und nicht die Souveränität der Gesetzgeber angreift. Der Versuch, Handelshemmnisse auf Kosten festgeschriebener Rechte abzubauen, wird auf wachsenden Widerstand stoßen. Eine Politik, die darauf setzt, entfernt sich von den Menschen, die sie repräsentiert.
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Pressekontakt: Südwest Presse Ulrike Sosalla Telefon: 0731/156218
Von Martin Hofmann Viele Wichtige aus Wirtschaft und Politik wandeln nun wieder durch die Messehallen in Hannover. Vorne weg schreiten die gern als die Mächtigsten dieses Globus titulierten: Barack Obama und Angela Merkel. Sie sind sich einig: Die 500 Millionen Europäer und die 300 Millionen US-Amerikaner brauchen den transatlantischen Freihandel fast wie die Luft zum Atmen. Mit dem TTIP-Abkommen soll alles besser für Arbeitnehmer, Konsumenten, Umwelt werden . Der US-Präsident und die Kanzlerin rühren gemeinsam die Werbetrommel dafür. Was aus den Geheimverhandlungen an die Öffentlichkeit dringt, klingt nicht nach Konsens. Europäische Unternehmen wollen an den lukrativen öffentlichen Ausschreibungen in den USA teilnehmen. Die Amerikaner lehnen ab. Die US-Agrarwirtschaft drängt auf den europäischen Markt. Gentechnisch veränderte Lebensmittel wollen die Europäer nicht zulassen. Die Absicht, die Finanzmärkte für die jeweils andere Seite zu öffnen, stockt. Selbst das Angleichen technischer Standards birgt Hürden, die kaum zu überwinden sind. Auf "Schiedsgerichte", die Streitigkeiten entscheiden sollen, können sich die Verhandler nicht verständigen. Dabei halten Kritiker das von der EU anvisierte System schon für völlig inakzeptabel. Den internationalen Vorgaben für unabhängige Gerichte entspricht es keineswegs, urteilt der Deutsche Richterbund. Es bleibt ein Verfahren, das ausländische Investoren massiv begünstigt, Gesetzgebung beschneidet, offizielle Gerichtsbarkeit umgeht und der Öffentlichkeit keine Rechte garantiert, wenn Investitionsaktivitäten Schäden verursachen. Befürworter eines Freihandels zwischen USA und Europa sollten das Abkommen dringend einer Frühjahrskur unterziehen. Es muss abspecken und sich auf den Kern konzentrieren: Zölle abbauen, Normen und Standards für Waren festlegen, um deren Austausch zu erleichtern. Investoren sollten Schutz vor willkürlichen Eingriffen genießen. Ob sich klare Produktionsvorgaben für Lebens- und Futtermittel finden lassen, ist mehr als fraglich. Die Europäer folgen hier dem Prinzip der Gesundheitsvorsorge, US-Behörden greifen nur bei beweisbaren Risiken ein. Kompromisse sind da kaum zu finden. Für Landwirte, die auf regionale Märkte, hohe Qualität, Tierschutz-Standards und ökologische Nachhaltigkeit zielen, müssen zudem andere Maßstäbe gelten als für Farmer, die Weltmärkte bedienen wollen. Wer beide Absichten auf einen Nenner bringen will, muss Vorgaben so massiv reduzieren, dass sie nur einer Seite nutzen. Zwei Welten prallen im Dienstleistungssektor aufeinander. Die Idee eines freien Marktes steht in diametralem Gegensatz zum gesetzlich verbrieften Recht auf Daseinsvorsorge. Wer etwa Wasser- und Stromversorgung, öffentlichen Nahverkehr, Straßenbau, Abfallbeseitigung, Gesundheitsversorgung, Bildungseinrichtungen und den Strafvollzug als staatliche Aufgaben festschreibt, hat diese auch sicherzustellen. Er muss sie nicht selbst betreiben, aber er wird Regeln vorgeben und durchsetzen. Diese Struktur infrage zu stellen, bedeutet, sich von staatlichen Fundamenten zu verabschieden. Deshalb hat ein Abkommen nur eine Chance auf Akzeptanz, wenn es die zentralen Unterschiede zwischen "alter und neuer Welt" respektiert und nicht die Souveränität der Gesetzgeber angreift. Der Versuch, Handelshemmnisse auf Kosten festgeschriebener Rechte abzubauen, wird auf wachsenden Widerstand stoßen. Eine Politik, die darauf setzt, entfernt sich von den Menschen, die sie repräsentiert.
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