Die Geldpolitik kümmert sich weiterhin um eine stabile Seitenlage an den Aktienmärkten: In den USA zerredet die US-Notenbank weitere Zinserhöhungen mit viel Verbalerotik immer mehr und in Europa scheint die EZB bereits über den nächsten geldpolitischen Tabubruch nachzudenken. Im Gegensatz zur Liquiditätshausse taugt die verhaltene Weltwirtschaft noch nicht als Triebfeder für Aktien. Jedoch sorgt die zunehmende Übernahme- und Fusionsphantasie für immer mehr fundamentales Salz in der Börsensuppe. Britische Aktien profitieren von der Vision einer fiskal- und geldpolitisch gestützten power economy.
Die Mär einer fortgesetzten US-Leitzinswende
Das Protokoll der letzten Notenbank-Sitzung zeigt eine gespaltene Meinung der Fed-Mitglieder über den weiteren zinspolitischen Weg. Insbesondere wird die Robustheit des US-Arbeitsmarkts in Zweifel gezogen, also ausgerechnet jenes Element, das für die US-Zinspolitik maßgeblich ist. Ein stabiler - wenn auch nicht robuster - Konjunkturaufschwung kommt quantitativ, aber nicht qualitativ am Arbeitsmarkt an. Der massive Abbau hochwertiger Arbeitsplätze in der US-Industrie seit 2007 von rund 1,5 Mio. wurde durch einen annähernd ebenso hohen Jobaufbau im Niedriglohnsegment z.B. der Gastronomie ausgeglichen. Ein vollmundiger Job-Aufschwung sieht anders aus. Mit dieser beschäftigungsseitigen Qualitätsverschlechterung ist ebenso eine Kaufkraftverschlechterung verbunden: Wer weniger verdient, gibt auch zulasten der Binnenkonjunktur als hauptsächlichem Motor der US-Wirtschaft weniger aus.
Das von der Fed früher gebetsmühlenartig vorgebrachte Argument steigender Löhne und damit verbundenem Inflationsdruck - die Preissteigerungsrate ist seit April rückläufig - hat deutlich an zinserhöhungspolitischer Bedeutung verloren. Die von US-Notenbankpräsidentin Yellen immer wieder betonte Datenabhängigkeit liefert insofern keine Argumente für restriktive Geldpolitik.
Selbstverständlich muss die US-Notenbank auch die Risiken für die Weltkonjunktur im Auge behalten. So stellt das ifo Institut im Trend eine Stimmungseintrübung fest. Setzt man die Einschätzung der globalen Geschäftslage und -erwartungen für das III. Quartal 2016 zueinander in Beziehung, bewegt sich die Weltkonjunktur vor allem mit Blick auf verhaltenere Konjunkturerwartungen tiefer in Rezessions-Terrain. Im Detail kam es in den USA zu einer leichten und in Europa und Asien zu einer spürbareren Wirtschaftseintrübung. Vor allem angesichts der Normalisierung der Wachstumsraten in den Schwellenländern stellten US-Zinsrestriktionen unkalkulierbare realwirtschaftliche Gefahren dar. Insgesamt entpuppt sich die Leitzinswende immer mehr als Lebenslüge der Fed.
Tabubruch, dein Name ist EZB!
Die EZB erwirbt seit Jahren umfänglich Staatsanleihen, Kreditverbriefungen und Pfandbriefe sowie seit Juni zusätzlich Unternehmensanleihen. So will sie Unternehmen durch Reduzierung von Zinssätzen und Verniedlichung des Absatzproblems neuer Schuldtitel Anreize für mehr Investitionen geben, die schließlich auch die gesamtwirtschaftlichen Auftriebskräfte stützen und Deflationsgefahren abwenden. Hierzu reicht eine reine Leitzinspolitik allein nicht mehr aus.
Leider ist diese Mission der EZB bislang nicht von realwirtschaftlichem Erfolg gekrönt. Daher setzt sie ihr Anleiheaufkaufprogramm weiter fort. Mittlerweile wird jedoch das Angebot an Schuldtiteln, die die Ankaufbedingungen erfüllen immer kleiner. Spätestens im Frühjahr 2017 ist der Markt für deutsche Staatspapiere ausverkauft. Zwar könnte man das Angebot durch die Lockerung der Bedingungen für kaufbare Papiere ausweiten. Aber einerseits würd sich selbst dann die Angebotsverknappung zeitlich nur hinauszögern. Und andererseits wird die EZB immer mehr zum Endlager bonitätsschwacher Anleihen mit Ausfallpotenzial.
Und so mehren sich die Stimmen von Finanzexperten, die EZB solle ihr Kaufprogramm auf Aktien ausdehnen. Der nächste geldpolitische Tabubruch wäre perfekt.
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