Die Weltkonjunktur läuft nur verhalten: Die Schwellenländer, allen voran China, befinden sich in der Phase der neuen Sachlichkeit. Die Konjunktur der Eurozone bleibt insgesamt gehemmt, weil Reform- und Wettbewerbsfähigkeit zu wünschen übrig lassen. Selbst die US-Industrie zeigt sich geschwächt. Dennoch betreibt die Fed Zinserhöhungsrhetorik. Grundsätzlich sind das keine schlagenden fundamentalen Argumente für export- und industrielastige Aktien. Müssen wir uns also auf einen heißen Aktien-Herbst einstellen oder gibt es Ersatzargumente?
Die Konjunkturpolitik der EZB hat viel gemeinsam mit Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung"
Das beispiellose Anleiheaufkaufprogramm der EZB und die mit ihm verbundene Rendite- und Kreditzinsdrückung zeigen konjunkturell keine Wirkung. Das Kreditwachstum in der Eurozone bleibt regelrecht erbärmlich.
Unter diesen Vorzeichen ist kein nachhaltiger Aufschwung außerhalb von Basiseffekten zu erwarten. Selbst weitere liquiditätspolitische Gedankenspiele wie der Aufkauf von Aktien werden keine Wende zum realwirtschaftlich Besseren bringen. Zu wenig Geldversorgung ist nicht das Problem, sondern zu wenig marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik in den einzelnen Euro-Staaten: Ohne Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wird die private Wirtschaft den europäischen Standort nicht wieder neu entdecken.
Leider ist auch Deutschland keine lobenswerte Ausnahme. Die Reformpolitik einer "Agenda 2010" wurde nicht fortgesetzt. Dabei war gerade sie ein erfolgreiches Instrument, den früheren kranken Wirtschaftsmann Europas - nämlich Deutschland - gesunden zu lassen. Sich auf den Lorbeeren der aktuell sicherlich noch guten deutschen Industriekultur auszuruhen, ist fatal. Und es ist nicht ausreichend, sich als der Einäugige unter den wirtschaftlich Blinden in der Eurozone zu betrachten. Europameister reicht nicht, Weltmeister müssen wir sein, denn in Amerika und Asien sitzt die eigentliche Industriekonkurrenz, die die industrielle Revolution 4.0, die Digitalisierung als große Chance begreift und bei Erfolg der deutschen Industriekultur ernsthaft Konkurrenz macht.
Rule Economic Britannia
Aber nicht nur in Übersee, sondern unmittelbar vor der deutschen Haustür besteht die Gefahr einer neuen industriellen Konkurrenz. Großbritannien schickt sich an, seine sehr einseitige Dienstleistungsorientierung zugunsten einer radikalen Reindustrialisierung aufzugeben. Das braucht sicherlich Zeit. Doch weiß die neue britische Regierung, dass sie nach Brexit wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand steht und einen Plan B verfolgen muss. Steuer-, Lohn- und Währungsdumping sollen zur Wiedergewinnung industrieller Stärke massiv eingesetzt werden. Und eine Wieder-Deregulierung des Londoner Finanzplatzes erscheint ebenso wahrscheinlich.
Brüssel und die Rest-EU sollten sich nicht der Illusion hingeben, Großbritannien wirtschafts- und industriepolitische Bedingungen diktieren zu können. London registriert - als diplomatische Weltmacht - sehr genau, dass Europas Politiker sich in vielen Fragen uneins sind. Zudem leidet Kontinental-Europa unter (finanz-)politischen Krisen wie die Hängepartie der spanischen Regierungsbildung, die zunehmende Stärke EU-kritischer Parteien und die Bankenkrise in Italien. London wird versuchen, diese Disharmonie im Zuge der Neuverhandlung der Beziehungen zur EU für sich zu nutzen, um insgesamt wieder ein attraktiver Industriestandort zu werden.
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