Trotz schwacher Konjunktur- und Inflationsprognosen hat die EZB auf ihrer letzten Sitzung keine weitere Zinssenkung und/oder liquiditätserhöhenden bzw. -verlängernden Maßnahmen beschlossen. Die Aktienmärkte reagierten enttäuscht, hatten sie doch mit mehr Stimulus gerechnet. Wie kann man diese Untätigkeit der Notenbanker interpretieren? Ist sie temporär oder struktureller Natur? Wie sieht der weitere geldpolitische Weg der EZB aus und welche real- und finanzwirtschaftlichen Konsequenzen sind damit verbunden?
Denn eins ist sicher: Die Konjunkturskepsis der EZB. Während sie die Wachstumsprojektionen für 2016 (1,7 statt 1,6 Prozent) leicht angehoben hat, fallen sie für 2017 und 2018 (jeweils 1,6 statt 1,7) schwächer aus. Ohnehin sollten diese ad hoc ermutigenden Wachstumsraten nicht überinterpretiert werden. Es handelt sich um Basiseffekte wie z.B. infolge des sprunghaften Anstiegs des Tourismus in Spanien. Auch sollte nicht vergessen werden, dass Italien und Spanien ihre Vorkrisen-Wirtschaftsleistung von vor 2008 immer noch nicht wieder erreicht haben.
Und über weitere konjunkturelle Reibungsverluste durch das Brexit-Votum - das seine negative Wirkung nicht kurz- sondern mittelfristig offenbart - und die Abwärtsrisiken in den Emerging Markets, die mit neuer Sachlichkeit umschrieben werden können, ist sich die EZB sehr bewusst.
Geradezu erbärmlich sind die Misserfolge der EZB im Kampf um Reflationierung. Selbst die bereits gesenkten Inflationsprojektionen für 2017 (1,2 statt 1,3 Prozent) werden von der EZB mit Abwärtsrisiken behaftet. Der fehlende Lohndruck und die mangelnde volkswirtschaftliche Preisdurchsetzungskraft der Unternehmen kommen auch in einer schwachen Kerninflationsrate - also ohne Berücksichtigung von Nahrungsmitteln und ohne die seit zwei Jahren deflationierenden Energiepreise - zum Ausdruck. Sie befindet sich seit Oktober 2015 in einem volatilen Abwärtstrend.
Inflationsperspektivisch bietet sich sogar ein noch dramatischeres Bild. Die 5-jährigen Inflationserwartungen der Eurozone in 5 Jahren befinden sich auf einem Allzeittief. Anleiheaufkäufe der EZB im Volumen von mittlerweile über eine Billion Euro haben also keine Trendwende gebracht.
Warum bleibt die EZB untätig?
Vor diesem Hintergrund fragt man sich, warum die EZB aktuell nicht noch mehr zins- und/oder liquiditätspolitische Dynamik an den Tag legt. Einerseits ist zu vermuten, dass sie ihr Pulver vor der Sitzung der Fed am 21. September trocken halten will. Ansonsten könnten neue geldpolitische Impulse verpuffen. Andererseits will sie den Finanzmärkten nicht "nach dem Mund reden", ihnen nicht das geben, was sie wollen. Natürlich weiß sie, dass ihre Geldpolitik - ihre Liquiditätshausse - in Ermangelung von harten positiven Fundamentaldaten das Wohl und Wehe von Entwicklungen an den Finanzmärkten schwerpunktmäßig bestimmt. An der Illusion der selbstbestimmten Handlungsfähigkeit will sie dennoch festhalten.
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