FRANKFURT (Dow Jones)--"Italien wird sich schon irgendwie durchwurschteln". Pierre Vernet von Goldman Sachs ist optimistisch, er rechnet nicht damit, dass Italiens Premier Matteo Renzi nach einem Scheitern des Verfassungsreferendums am Sonntag kommender Woche zurücktritt und eine neue Regierung gewählt werden muss. An den Finanzmärkten teilt man diese Meinung nicht unbedingt. Italienische Staatsanleihen sind jüngst auf den niedrigsten Stand seit Sommer 2015 zurückgefallen, wenngleich im Zuge einer allgemeinen Schwäche am Anleihemarkt.
Auch in der kommenden Woche könnte die Abstimmung über die Senatsreform das Geschehen an den Finanzmärkten beherrschen. Während in den USA am Aktienmarkt immer neue Rekorde purzeln, ist der Aufwärtstrend in Europa zuletzt ins Stocken gekommen. Viele Kommentatoren führen das auch auf die politischen Risiken zurück, die mit dem Votum verbunden sind. "Das Referendum hat mittlerweile mehr den Charakter einer Vertrauensfrage für die Regierung", sagt Carsten Klude von MM Warburg. Die Verfassungsänderung als eigentliches Thema rücke immer mehr in den Hintergrund.
Italien sei mittlerweile das am höchsten verschuldete Land der Eurozone. Genau das sei auch die "Achillesferse". Eine Entscheidung gegen die neue Verfassung wäre eine Entscheidung gegen Reformen und Wachstum. Wachstum aber brauche das Land dringend. Ohne die Hilfe der EZB und ohne langfristig niedrige Zinsen werde es für Italien immer schwieriger, die hohen Schulden zu refinanzieren. Ein "Nein" beim Referendum dürften die Kapitalmärkte daher so interpretieren, "dass die Überlebensfähigkeit Italiens in der Eurozone in Frage gestellt wäre", sagt Klude. Außerdem drohen dann, eurokritische Parteien mehr Einfluss zu gewinnen.
Schwacher Euro auch Ausdruck der Sorgen um Italien
Dieses Szenario lastet, neben steigenden Zinsen in den USA, schwer auf dem Euro. In nur zwei Wochen ist die Gemeinschaftswährung zum Dollar um rund 6 US-Cent eingebrochen auf den niedrigsten Wechselkurs seit 20 Monaten. Denkbar ist auch, dass das Referendum scheitert, Renzi aber nicht zurücktritt. "Hierauf dürften die Märkte zunächst mit Erleichterung reagieren", sagt Marco Wagner von der Commerzbank. Staatspräsident Sergio Mattarella wolle das Parlament ohnehin nicht auflösen und werde alles tun, um eine Übergangsregierung zu bilden - unter Führung Renzis oder eines Technokraten.
Pierre Vernet von Goldman Sachs vermutet, dass Italien noch stärker als bislang auf den "fiskalischen Spielraum" zurückgreifen wird, den die EZB bietet. Sprich: Die Euro-Notenbank kauft Italien noch mehr Schulden ab. Und was das schwer angeschlagene Bankensystem des Landes betrifft, bringt es Vernet auf einen ebenso kurzen Nenner: "Italien und die Europäische Union werden alles tun, um die Finanzstabilität zu bewahren". Optimismus klingt anders. Italien dürfte den Finanzmärkten weiterhin schwer im Magen liegen.
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November 25, 2016 09:18 ET (14:18 GMT)
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