Auf den ersten Blick scheinen die internationalen Notenbanken zunehmend restriktiver zu werden. Mittlerweile hat die US-Notenbank die siebte Zinserhöhung durchgeführt. Für 2018 plant die Fed insgesamt vier statt drei Zinssteigerungen ein. Und die EZB wird sogar ihr Anleiheaufkaufprogramm Ende des Jahres komplett einstellen. Verlieren damit die Finanzmärkte langsam aber sicher ihren wichtigsten Treiber, die Liquiditätshausse? Auf den zweiten Blick jedoch ergibt sich ein deutlich entspannteres geldpolitisches Bild.
Selbst die Fed legt ihr Taubenkostüm nicht wirklich ab
Die Fed hat auf ihrer Sitzung erwartungsgemäß die siebte Zinserhöhung um 25 Basispunkte auf zwei Prozent vorgenommen. Zudem geht sie in ihrem "Dot Plot" - den Zinsprojektionen - von insgesamt vier anstatt drei Zinserhöhungen in diesem Jahr aus, während 2019 unverändert drei und 2020 nur noch eine anstatt zwei anstehen. Im Zeitablauf verliert das Zinserhöhungsthema also an psychologischer Brisanz.
Selbst wenn US-Notenbankchef Powell der US-Konjunktur "großartige Form" zubilligt, hat diese gemäß Wachstumsprojektionen der Fed - 2,8 statt 2,7 Prozent für 2018; 2019 und 2020 jeweils unverändert 2,4 bzw. 2,0 Prozent - offensichtlich ihren Zenit erreicht. Auch der seit Jahresbeginn im Trend rückläufige Economic Surprise Index der Citigroup für die USA - er misst positive bzw. negative Abweichungen tatsächlicher Konjunkturdaten von den Vorabschätzungen der Analysten - nähert sich dem Enttäuschungsterrain. Ebenso sind die in den Schwellenländern, Japan und der Eurozone zu beobachtenden konjunkturellen Bremseffekte - für die maßgeblich die handelspolitische Stimmungsverschlechterung verantwortlich ist - als Handicaps für die amerikanische Exportwirtschaft nicht zu unterschätzen.
Strikte Falkenhaftigkeit kann man der Fed heute schon nicht unterstellen. Powell hält am Trend "gradueller" Zinserhöhungen als Mittelweg zwischen "zu schnell" und "zu langsam" fest. Dabei betont er erneut die "symmetrische" Auslegung des Inflationsziels der Fed. Nachdem die Inflation in der Vergangenheit für lange Zeit unter dem Zielwert von zwei Prozent gelegen hat, lässt man umgekehrt auch ein temporäres Überschießen zu. Die Fed blickt insofern über den Tellerrand der zuletzt zu beobachtenden Dynamisierung der Inflation - 2,8 Prozent im Mai - hinweg. Entsprechend hat sie ihre Inflationsprojektionen (2,1 statt 1,9 Prozent für 2018, 2,1 statt 2,0 für 2019 und 2020 unverändert 2,1 Prozent) nur zaghaft angehoben. Sie erwartet, dass die aktuell hohen Energiepreise über Ausweitungen der Fördermenge der Opec und die Alternativfördermethode Fracking wieder sinken werden.
Fed-Chef Powell ist ein (geld-)politisches Schlitzohr
Einerseits weiß die Fed, dass sie angesichts der US- und Weltverschuldung keine zu harte Geldpolitik betreiben kann. Andererseits muss sie ihre Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit beweisen. In diesem Spannungsfeld betreibt sie eine "passive Zinserhöhungspolitik". Die Inflation bekämpft sie zwar, aber nur halbherzig. Sie lässt ihr zinspolitisch sozusagen einen Vorsprung, ohne sie einholen zu wollen. Der reale US-Notenbankzins - nach Abzug der Inflation - ist aktuell sogar niedriger als zu Beginn des Zinserhöhungszyklus. Zugleich ist die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen real deutlich geringer als zu Beginn des Tapering der Fed, als es nur darum ging, den Märkten weniger neue Liquidität zuzuführen. Mittlerweile wird Liquidität jedoch sogar netto zurückgeführt. Ihre Leitzins- und Renditeerhöhungspolitik ist also bei genauerem Hinschauen eine smarte Unterstützung für die US- und Weltkonjunktur sowie die Aktienmärkte.
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