Dirk Schumacher von Natixis legt in seinem Kommentar dar, weshalb die hohen Handelsüberschüsse Deutschlands mittelbar negative Folgen für den freien Handel hätten. Ursache sieht er u.a. in der zurückgehenden Investitionsneigung der Unternehmen, Erleichterung könne eine andere Fiskalpolitik bringen.
10. August 2018. FRANKFURT (Natixis). Bislang hat die Abkühlung der globalen Wirtschaftsdynamik und die Gefahr eines "Handelskrieges" der deutschen Exportwirtschaft wenig anhaben können. Auch ist der Handelsüberschuss Deutschlands, trotz starker Binnenkonjunktur, unverändert hoch. So betrug der durchschnittliche monatliche Handelsüberschuss in der ersten Jahreshälfte 20,2 Milliarden Euro gegenüber einem Durchschnitt von 20 Milliarden in der ersten Jahreshälfte 2017.
Auch im internationalen Vergleich ist der deutsche Überschuss ungewöhnlich groß. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss lag, in US-Dollar gerechnet, im letzten Jahr bei 296 Milliarden, während der japanische Überschuss, der zweithöchste weltweit, nur 196 Milliarden erreichte.
Nun ist dieser Überschuss nicht etwa das Resultat "unfairer" Handelspraktiken oder einer Manipulation des Wechselkurses durch die EZB. Tatsächlich sind die deutschen Unternehmen, über die letzten Jahre, sehr geschickt darin gewesen, die Möglichkeiten der Globalisierung zu nutzen.
Dennoch sind Überschüsse im Außenhandel problematisch. Zum einen bedeuten sie eine große Abhängigkeit vom globalen Konjunkturzyklus. Es ist sicher kein Zufall, dass der deutsche DAX von allen relevanten Aktienindizes eine der stärksten positiven Korrelationen mit dem globalen Zyklus aufweist. In Zeiten stetigen globalen Wachstums und steigendem Handelsvolumens ist dies sicher eine komfortable Position. In Zeiten, in denen der Freihandel und Globalisierung von Vielen in Frage gestellt wird, könnte es hingegen ungemütlich werden.
Die großen Ungleichgewichte im Außenhandel sind sicher ein Faktor, der in vielen Ländern zu Unbehagen bezüglich der Globalisierung geführt haben. Nun ist ein Überschuss nicht per se besser oder schlechter als ein Defizit, und es kann gute Gründe geben, warum ein Land zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Defizit oder einen Überschuss aufweist. Der exzessive deutsche Überschuss - im Schnitt etwa 8 Prozent des Bruttoinlandproduktes über die vergangenen 5 Jahre - ist nicht einfach zyklischer Natur und stellt auch ein politisches Problem für Deutschland dar. Die Forderungen nach größerer fiskalischer Integration wären bei einer ausgeglicheneren Handelsbilanz sicherlich weniger weniger drängend.
Es ist im Interesse Deutschlands, den Gegnern des Freihandels keinen Vorwand zu liefern. Und der deutsche Überschuss ist ein willkommenes Argument, den Regelrahmen des globalen Handels in Frage zu stellen. Das hohe Exportvolumens Deutschlands sind dabei nicht das Problem. Es sind die relativ geringen Importe und die hohe Sparneigung des privaten Sektors, die hinter dem Überschuss stecken. Die Graphik zeigt die Netto-Ersparnis der einzelnen Sektoren Deutschlands. Alle inländischen Sektoren produzieren mittlerweile Überschüsse. Diese Ersparnisse fließen in den "Rest der Welt" und spiegeln den deutschen Überschuss wieder. Anders formuliert, da Deutschland insgesamt mehr produziert als konsumiert oder investiert, muss der Rest der Welt zwangsläufig sich bei Deutschland verschulden, sollen die Exporte abgesetzt werden. Die kumulierte Netto-Verschuldung des Restes der Welt beläuft sich mittlerweile auf fast 1,5 Billionen Euro.
Schaut man sich die Dynamik der Ersparnisse an, fällt die relative Stabilität der Sparneigung der privaten Haushalte auf. Dies spricht gegen die These, dass der Leistungsüberschuss Deutschlands eine Folge des demographischen Wandels ist. Wichtiger scheint der starke Anstieg der Ersparnisse - und die geringe Investitionsbereitschaft - des Unternehmenssektors zu sein. Hierfür gibt es sicher eine lange Liste an Gründen und auch in anderen Ländern konnte man eine Phase der Investitionsschwäche beobachten.
Nichtsdestotrotz kann sich die Bundesregierung nicht einfach zurück lehnen und alle Verantwortung für den hohen Handelsüberschuss von sich weisen. Zum einen kann der Wechselkurs - der zwangsläufig die wirtschaftlichen Gegebenheiten der Währungsunion widerspiegelt - nicht eine Anpassung herbeiführen. Der deutsche Überschuss ist damit nicht nur das Resultat von Marktkräften bzw. der Entscheidung von Unternehmen und Haushalten. Zum anderen beeinflusst die Wirtschaftspolitik sehr direkt die Importneigung und das Sparverhalten des privaten Sektors. So ist beispielsweise die hohe Steuerlast ein Faktor, der das Einkommen der Bürger, den Konsum und damit die Größe der Importe bestimmt. Aber auch die Angebotsbedingungen in Deutschland entscheiden über die Neigung der Unternehmen zu investieren.
Vor dem Hintergrund dieses exzessiven Handelsüberschusses ist der gegenwärtige fiskalische Kurs falsch. Eine signifikante Steuer- und Abgabenentlastung der Bürger wäre ein willkommener Beitrag zur Verringerung der Ungleichgewichte im Außenhandel. Selbst wenn der staatliche Finanzierungsaldo negativ würde, müsste dies keineswegs zu einer Destabilisierung der Staatsfinanzen führen. Selbst ein Defizit von 2 Prozent bezogen auf das Bruttoinlandprodukt würde vermutlich, unterstellt man ein nominelles Wachstums des BIP von 4 Prozent, immer noch zu einem kleinen Rückgang der Schuldenquote auf unter 60 Prozent führen. Der internationale Druck auf Deutschland in dieser Frage wird sicher nicht nachlassen.
von Dirk Schumacher,
© 10. August 2018 © Natixis
Über den Autor
Dirk Schumacher ist Managing Director und Senior Economist bei Natixis, einer international tätigen Investmentbank, die zu Groupe BPCE gehört, Frankreichs zweitgrößter Bank.
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