Dirk Schuhmacher sieht in der Frage, ob sich Investoren an einer höheren Neuverschuldung Italiens beteiligen würden, einen zentralen Punkt der Haushaltsplanung des südeuropäischen Landes. Und im möglichen Vorgehen der Regierung eine starke Belastung des europäischen Regelwerks.
4. August 2018. FRANKFURT (Natixis). Die italienische Regierung hat vergangene Woche die mit Spannung erwartete Prognose für das Budget im nächsten Jahr vorgelegt. Mit 2,4 Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt fällt das Defizitziel, zumindest relativ zu den Erwartungen, hoch aus. Die Marktreaktion war dann auch entsprechend "lebhaft": Die Zinsen auf zehnjährige italienische Staatsanleihen stiegen seitdem um 50 Basispunkte.
Zur Nervosität der Marktteilnehmer trägt sicherlich auch die konfrontative Rhetorik der Regierung seit Bekanntgabe des Defizitziels bei. So stellte der Vize-Premierminister und Vorsitzende der 5-Sterne-Bewegung Di Maio klar, dass " die Regierung keinen Millimeter zurückweichen" würde und keine Änderungen am Haushaltsentwurf vornehmen werden. Sekundiert wurde Di Maio vom Innenminister und Vorsitzenden der Lega Nord Salvini, der erklärte, Kritik würde die Regierung nicht stoppen, ebenso wenig wie ein Anstieg des Zins-Spreads gegenüber Deutschland auf 400 Basispunkte.
Wie geht es nun weiter? Zunächst muss der Etatentwurf vom italienischen Parlament und dem Staatspräsidenten bestätigt werden. Mitte Oktober werden die Haushaltspläne an die EU-Kommission geschickt. Spätestens bis Ende November wird die Kommission auf die Pläne antworten und dem EU-Rat möglicherweise empfehlen, ein Defizitverfahren zu eröffnen.
Die europäische Kommission spielt in all dem allerdings nicht die entscheidende Rolle, denn dafür sind die Sanktionsmöglichkeiten im Stabilitätspakt zu schwerfällig. Entscheidend für die italienische Regierung wird sein, ob sie die Investoren überzeugen kann. Ohne eine Anerkennung der Tatsache, dass die Schuldentragfähigkeit ein entscheidender Faktor ist, wird dies nicht gelingen. Zwar hebt die Regierung die wachstumsfördernde Seite des Budgets hervor, die letztlich auch zu einer Reduzierung der Schuldenquote führen soll. Sehr überzeugend ist diese Argumentation allerdings nicht. Zum einen sind ein Großteil der fiskalischen Maßnahmen Transfers und werden nicht das Wachstumspotential Italiens heben. Ganz allgemein ist der fiskalische Multiplikator - der durch Staatsausgaben ausgelöste Wachstumseffekt - in Italien gering. So zeigt eine Studie der EZB, dass der langfristige Wachstumseffekt öffentlicher Investitionen in Italien nahe Null ist.
Nun ist es keineswegs so, dass höhere Zinsen den Schuldenstand sofort auf einen explosiven Pfad schicken. Nur ein kleiner Teil der Staatsschuld muss kurzfristig refinanziert werden. Dennoch stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten der italienischen Regierung für den Fall bleiben, dass die Skepsis der Marktteilnehmer langfristig hoch bleibt?
Eine offensichtliche Lösung wäre es, den fiskalischen Kurs zu ändern. Der politische Preis für einen solchen Kurswechsel wäre allerdings sehr hoch. Außerdem könnte es schwer sein, die Investoren von einem solchen Schwenk zu überzeugen. Für einen solchen Fall steht das sogenannte OMT-Programm der EZB bereit. Dieses ist mit Auflagen und europäischer Aufsicht verbunden, was den politischen Preis potenzieren würde.
Eine andere Alternative wäre eine versuchte indirekte Erpressung. Auch wenn es dafür bislang keine Anzeichen gibt, könnten steigenden Spannungen in Italien zu einer Ansteckung im Rest der Peripherie führen. Aber auch ohne Ansteckung wäre die Stabilität der Währungsunion gefährdet, sollte die Lage in Italien außer Kontrolle geraten. Italien ist nicht Griechenland. Auch wenn eine solche Strategie offensichtlich mit hohen Risiken verbunden ist, könnte die italienische Regierung versuchen, die Nervenstärke der anderen Seite zu testen. Eine schnelle Lösung ist in keinem Fall zu erwarten und die Spannungen werden vermutlich weiter zunehmen - und die Zinsen steigen, bevor eine Annährung möglich ist.
Ein wichtiger Aspekt der Entwicklung in Italien ist auch die weitere Erodierung des Vertrauens in das gemeinsame Regelwerk. Nun kann man sicher trefflich über Sinn und Unsinn einzelner Regeln streiten. Eine einseitige Aufkündigung im Namen des Willens der Wähler kann aber keine Grundlage des politischen Handelns in einer Währungsunion sein. Vor diesem Hintergrund sind weitere Vorhaben zur Vergemeinschaftung von Risiken, wie etwa die gemeinsame Einlagensicherung, schwer vorstellbar. Jede Risikoteilung muss durch Regeln, wie auch immer geartet, abgesichert sein. Wie schwierig das Durchsetzen dieser Regeln ist, wird im Moment wieder auf offener Bühne demonstriert.
von Dirk Schumacher
© 4. Oktober 2018 © Natixis
Über den Autor
Dirk Schumacher ist Managing Director und Senior Economist bei Natixis, einer international tätigen Investmentbank, die zu Groupe BPCE gehört, Frankreichs zweitgrößter Bank.
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