Ob Handel oder Aufrüstung - US-Präsident Donald Trump steuert auf einen "neuen Kalten Krieg" mit China zu. Peking ist nicht mehr der "verantwortliche Teilhaber" in der Welt, wie es lange in Washington geheißen hatte, sondern ein "Rivale" und eine wachsende militärische Bedrohung. "China will nichts weniger, als die USA aus dem westlichen Pazifik vertreiben und versuchen, uns daran zu hindern, anderen zur Hilfe zu kommen. Aber es wird scheitern", sagte Vizepräsident Mike Pence vor drei Wochen in einer Rede, die als formeller Startschuss für die konfrontative Haltung der USA gilt.
China setze seine Macht ein wie nie zuvor, beklagte Pence. "Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden uns nicht zurückziehen." Vielmehr soll der Ausstieg aus dem Mittelstreckenraketen-Abkommen (INF) mit Russland den Weg freimachen für die neue militärische Strategie gegenüber China. Die USA haben schon länger das Gefühl, dass die Beschränkungen für landgestützte Systeme ein Hindernis für ihre Streitkräfte sind, der wachsenden Bedrohung durch China etwas entgegenzusetzen und die Sicherheit in Asien zu gewährleisten.
Schon beim Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen diese Woche in Peking wurde die Empörung der chinesischen Führung deutlich, dass Trump jetzt das chinesische Raketenarsenal aufs Korn nimmt. "Es ist völlig falsch, China in den Rückzug aus dem Vertrag zu verwickeln", kritisierte Außenamtssprecherin Hua Chunying. Von der Leyen nannte den amerikanischen Schritt "besorgniserregend", der für sie gleichwohl nicht überraschend kam.
Chinas Militär habe sich rasant in eine hochtechnologische Truppe gewandelt, die nicht nur regional Macht ausübe, sondern ihre Arme weltweit ausstrecken könne, schilderte der frühere Pazifikkommandeur und heutige US-Botschafter in Südkorea, Harry Harris, im Frühjahr im US-Senat. Er stimmte der Einschätzung des Instituts für Strategische Studien (IISS) zu, dass Chinas Waffen und Fähigkeiten besonders in der Luft "fast eine Höhe mit dem Westen" zu erreichen schienen.
China verfüge über das weltweit größte und vielseitigste Arsenal von mehr als 2000 ballistischen Raketen und Marschflugkörpern, erklärte Harris. Die USA hätten aber "keine vergleichbaren Fähigkeiten", weil sie sich an den INF-Vertrag hielten. "Schätzungsweise 95 Prozent der Raketenstreitkräfte der Volksbefreiungsarmee würden gegen den INF-Vertrag verstoßen, wenn China Vertragspartner wäre." Ein Großteil der Raketen ziele auf Taiwan oder andere Ziele so weit wie die US-Pazifikinsel Guam.
Besonders beunruhigt das US-Pazifikkommando die Fähigkeiten Chinas, den US-Streitkräften im Kriegsfall in Asien wirksam den Zugang zu strategisch wichtigen Gebieten verwehren zu können. "Das wachsende konventionelle militärische Ungleichgewicht kann bedeuten, dass wir nicht in der Lage sein werden, unsere Sicherheitsverpflichtungen gegenüber unseren asiatischen Partnern und Verbündeten aufrechtzuerhalten", warnte der Experte Eric Sayers, der als Assistent von Harris im Pazifikkommando gearbeitet hat.
Indem sich die USA von den Beschränkungen des INF-Vertrages befreien, könnten sie Mittelstreckenraketen im Pazifik auf Guam oder im Norden Australiens stationieren und damit auf China zielen. Es würde Kapazitäten freisetzen und wäre für die USA billiger. Denn der Vertrag verbietet landgestützte Systeme, so dass die USA solche Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper heute nur aufwendig von Flugzeugen und Schiffen einsetzen können.
"Wenn die USA konventionelle landgestützte Systeme stationieren, die das chinesische Hinterland in Gefahr bringen, würde das größere chinesische Investitionen in Raketenabwehr erzwingen, um die militärische Infrastruktur zu schützen", beschrieb Sayers einen weiteren gewünschten Effekt. "Jeder Dollar, der für Defensivsysteme ausgegeben wird, ist ein Dollar, den Peking nicht in offensive Systeme entlang seiner Küste oder in seine Marine und Luftwaffe stecken kann."
Wettrüsten, Eindämmung, in die Knie zwingen, all das sind aus chinesischer Sicht Elemente der neuen Strategie, die der US-Präsident und seine Berater in der von Trump beschriebenen neuen Ära des "Wettbewerbs der großen Mächte" verfolgen. Chinas Aufstieg sei auf Kosten der USA erfolgt, argumentiert der US-Präsident. Es habe das freie Welthandelssystem ausgenutzt, aber seinen Markt selbst verschlossen gehalten und Technologie gestohlen. "Wir haben China wieder aufgebaut", gibt Trump sogar vor.
Der Handelskrieg mit Strafzöllen auf rund die Hälfte der Importe aus China in die USA, den Trump noch ausweiten will, soll dem Treiben ein Ende setzen. Aus chinesischer Sicht geht es aber eher darum, China klein zu machen und seinen wirtschaftlichen Aufstieg zu behindern. Schon deswegen glauben wenige an einen Durchbruch, wenn sich Trump und Staats- und Parteichef Xi Jinping in fünf Wochen auf dem Gipfel der großen Wirtschaftsmächte (G20) in Buenos Aires treffen.
Auch in der Raketenfrage droht eher ein Wettrüsten. Wenn Trump jetzt anbietet, gemeinsam mit Russland und China ein Nachfolgeabkommen für den INF-Vertrag aushandeln zu wollen, wird er in Peking kaum Entgegenkommen finden. "Dafür fehlt mir die Fantasie", sagte ein hoher Diplomat./lw/DP/fba
AXC0195 2018-10-24/13:37