
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat in einer europapolitischen Rede eine "politischere" Europäische Union (EU) gefordert und sich für Reformen auf zahlreichen Feldern von der Währungsunion bis zur Rüstungspolitik stark gemacht. Damit sich Europa mit seinen Werten und Überzeugungen in einer Welt von bald zehn Milliarden Bewohnern behaupten könne, müsse die EU "einig sein und stark", sagte Scholz in der Rede in der Humboldt-Universität. "Die Europäische Union muss politischer werden", forderte er.
"Wir müssen die EU besser aufstellen und in wichtigen Politikbereichen enger zusammenarbeiten, europäischer denken und handeln", sagte der SPD-Politiker. Bei den anstehenden Reformmaßnahmen gehe es um "europäische öffentliche Güter" - Bereiche, in denen die EU gemeinsam mehr erreichen könne als die einzelnen Staaten. In der Steuerpolitik forderte Scholz in diesem Zusammenhang eine Mindestbesteuerung für Unternehmen, eine gemeinsame Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer in der EU und die Einführung der Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene.
"Ganz aktuell kann die Europäische Union beim Umgang mit den großen Konzernen und deren Strategien zur Steuervermeidung beweisen, wie erfolgreich ein gemeinsames Auftreten sein kann in einer globalen Ökonomie", sagte Scholz. Seit Jahren sehe man, dass große multinationale Unternehmen ihre Gewinne weltweit so verschöben, dass sie am Ende nur geringe oder gar keine Steuern zahlen müssten. Scholz zeigte sich optimistisch, dass bis Sommer 2020 ein internationales Konzept für eine Mindestbesteuerung vereinbart werde.
Eurozonen-Budget für Schwächephasen
Zudem sprach er sich für einen einheitlichen Rechtsrahmen für Mindestlöhne und Systeme der Grundsicherung in der EU aus. Für die Wirtschafts- und Währungsunion drang er auf eine Umsetzung des Reformpakets der Eurozone mit der Entwicklung des Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds, einem Stabilisierungsfonds für nationale Arbeitslosen-Sicherungssysteme und einer Unterstützung von Mitgliedsländern in Krisenzeiten bei öffentlichen Investitionen.
Man brauche Handlungsinstrumente, um auf zyklische wirtschaftliche Schwächephasen reagieren zu können, betonte Scholz. "Ich halte es daher für richtig, mit einem Eurozonen-Budget sicherzustellen, dass diese Mittel dem betroffenen Mitgliedstaat auch und gerade in Schwächephasen weiterhin zur Verfügung stehen."
Zu seinem Vorschlag eines Rückversicherungsfonds für die Arbeitslosenversicherung betonte Scholz, es gehe dabei um Kredite, damit in der Krise nicht Beiträge erhöht oder Leistungen gekürzt werden müssten, und "nicht um Transferzahlungen", wie es in der politischen Diskussion "wider besseres Wissen" gern behauptet werde. Zu dem Thema herrscht derzeit in der Regierung weiter Uneinigkeit. "Es gibt bisher keine Position, die dem deutschen Bundestag übermittelt werden könnte", antwortete das Finanzministerium auf eine Parlamentsanfrage, über die das Handelsblatt berichtete.
Scholz geht fest vom Brexit aus
Scholz mahnte außerdem eine stärkere gemeinsame Handelspolitik in der EU sowie eine größere Einbeziehung von Kriterien wie der Beachtung der Menschenrechte sowie des Arbeits- und Umweltschutzes bei den Lieferketten an. Außenpolitisch machte sich der Vizekanzler dafür stark, das Mehrheitsprinzip im EU-Außenministerrat einzuführen und Frankreichs Sitz im UN-Sicherheitsrat mittelfristig in einen EU-Sitz umwandeln. Im Gegenzug gebe es dann die "Möglichkeit", dass Frankreich permanent den EU-Botschafter bei den Vereinten Nationen stelle.
Zum Brexit betonte Scholz, von diesem müsse man "inzwischen leider fest ausgehen". Auch danach müsse man aber "ein enges, wenn auch verändertes Verhältnis" zueinander entwickeln. Zudem forderte er eine gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern, eine Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie, strikte gemeinsame Vorschriften für den Rüstungsexport und letztlich gemeinsame europäische Streitkräfte unter parlamentarischer Kontrolle. In der Flüchtlingspolitik sei die gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen zentral, betonte Scholz. Es gelte, die Grenzschutzagentur Frontex zu stärken und ein einheitliches elektronisches Visa-System einzuführen.
Scholz betonte, es seien die gemeinsamen Werte, die die Mitgliedstaaten der Europäischen Union miteinander verbänden. "Die Europäische Union ist eben mehr als ein gemeinsamer Binnenmarkt mit ähnlichen Wirtschafts- und Sozialstaatsmodellen", meinte er. Die EU werde nicht nur von Interessen zusammengehalten - sie sei eine Werteunion. Alle müssten sich "bewusst dazu entscheiden, stärker als bisher europäisch zu denken und zu handeln", und dann Schritt für Schritt die nötigen Reformen voranbringen, mahnte der Bundesfinanzminister.
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November 28, 2018 05:58 ET (10:58 GMT)
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