BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Wirtschaft hat bei einer Bundestags-Anhörung Vorschläge zurückgewiesen, für eine britische Zustimmung zum Brexit-Abkommen Abstriche beim freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Personen und Kapital zu machen. "Der Schutz des EU-Binnenmarktes hat oberste Priorität", erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in seiner Stellungnahme zu einer Anhörung im EU-Ausschuss des Bundestags. Dafür würden von der Wirtschaft beim Brexit auch Einbußen im Handel mit Großbritannien in Kauf genommen werden, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Volker Treier im Bundestag.
"Die Unternehmen haben in Befragungen mitgeteilt, dass die Integrität des Binnenmarktes höher einzustufen ist als ein möglicher Schaden", sagte Treier. Ein ungeregelter Brexit hätte aller Voraussicht nach die Erhebung von Zöllen über mehr als 3 Milliarden Euro für deutsche Unternehmen sowie einen deutlich erhöhten bürokratischen Aufwand zur Folge - rund 200 Millionen Euro für Zolldokumente und 300 Millionen Euro für Ursprungsnachweise. "Für die Wirtschaft ist es daher allerhöchste Zeit zu wissen, worauf sie sich einstellen muss", mahnte Treier.
Der Direktor der Denkfabrik Bruegel, Guntram Wolff, betonte, komme es zu keiner Zustimmung zu dem mit der EU ausgehandelten Austrittsabkommen, müsse die EU "sehr stark darauf pochen, dass die finanziellen Verpflichtungen erfüllt werden". Sie würden in der langen Frist bis zu 45 Milliarden Euro ausmachen. "Da würde ich eine harte Haltung beim Geld empfehlen", sagte Wolff. Allerdings bestehe aus europäischer Sicht in diesem Fall auch Interesse an einer Fristverlängerung, um die Gesetze des Notfallplans der EU-Kommission umsetzen zu können.
Die Grünen-Europasprecherin Franziska Brantner forderte anlässlich der Anhörung, die britische Premierministerin Theresa May müsse "den Hard-Brexit vom Tisch nehmen". Scheitere die Abstimmung, dürfe May ihr Land nicht auf einen unkontrollierten Austritt zusteuern lassen. "Anstatt sich auf die beiden Optionen Abkommen oder Hard-Brexit zu versteifen, müsste Frau May die Optionen Abkommen oder kein Brexit wählen", verlangte Brantner. Außerdem könne May eine Verlängerung der Brexit-Verhandlungen bei der EU beantragen, die ihr sicherlich gewährt werden würde.
Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok hatte vor der für Dienstag geplanten Unterhaus-Abstimmung dafür plädiert, London notfalls einen Aufschub beim Austritt aus der EU zu gewähren. Verliere May die Abstimmung, könne es zu einem harten Brexit "mit den schlimmen, insbesondere ökonomischen Konsequenzen für beide Seiten" kommen, oder London könne den Artikel-50-Brief über den Austritt zurücknehmen, um das Austrittsdatum zu verschieben, so der Brexit-Beauftragte seiner Europaparlaments-Fraktion im Deutschlandfunk.
Hingegen hatte der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, Dennis Snower, gefordert, die EU sollte Großbritannien das Signal geben, in kommenden Verhandlungen nicht länger auf der strikten Unteilbarkeit der "vier Freiheiten" für Güter, Dienstleistungen, Personen und Kapital zu beharren. Sprecher der Bundesregierung wollten bei einer Pressekonferenz ihrerseits keine Stellung zu Vorschlägen nehmen, das britische Austrittsdatum zu verschieben. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte aber ein Telefonat von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit May vom Wochenende, ohne Details zu nennen.
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January 14, 2019 09:18 ET (14:18 GMT)
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