
BERLIN (Dow Jones)--Am Abend vor der Abstimmung über den weiteren Brexit-Kurs im britischen Unterhaus hat EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger auf mögliche Probleme für die im Mai anstehende Europawahl hingewiesen, sollte die Brexit-Frist verlängert werden. "Das Paket, das vorliegt, ist ein faires Paket, und ich hoffe, dass zumindest kein harter Brexit kommt", sagte Oettinger bei einer Veranstaltung in Berlin. "Ob es dann eine Verlängerung gibt, ... weiß ich nicht", hob er hervor. "Ein Problem ist: Wenn die Briten verlängern, bleiben, sind sie aktiv und passiv für die Wahl berechtigt", warnte der CDU-Politiker. "Das könnte skurril werden", erklärte Oettinger.
Der CDU-Politiker zeigte sich hoffnungsvoll, dass es noch zu einer Mehrheitsentscheidung im britischen Unterhaus kommen könne. Derzeit gebe es dort "keine Mehrheit für gar nichts", aber man könne in diesen Tagen beobachten, dass die Blockade zwischen Premierministerin Theresa May und Labour-Chef Jeremy Corbyn durch Abgeordnete beider Seiten durchbrochen werde. "Wenn die, die einen harten Brexit nicht wollen, gemeinsam einen Weg vorschlagen, wäre der mehrheitsfähig", erwartete er.
Kritik an Deutschland übte der EU-Kommissar wegen des geplanten Kohleausstiegs, den er als "Alleingang" bezeichnete. Die CO2-Emissionsmengen in der EU würden Jahr für Jahr reduziert. "Der bessere Weg wäre gewesen, die Deutschen hätten gesagt, wir wollen bei diesen Emissionspfaden noch stärker mitwirken", sagte Oettinger. Beihilfen, die im Zuge des Kohleausstieges gezahlt werden sollten, seien "wettbewerbsrelevante Vorgänge", warnte er zudem. Das Vorgehen beim Kohleausstieg nannte Oettinger "typisch deutsch".
Angesichts der Europawahl rief er generell dazu auf, Europa wahrnehmbarer zu machen und unter anderem auch über Beitrittsperspektiven für Länder des Westbalkans zu reden. Oettinger sieht ein insgesamt "schwieriges Gesamtbild" im Jahr 2019. "Im Grunde genommen leben wir in einem Wettbewerb von Werteordnungen, man könnte auch sagen, in einem Kampf von Systemen", sagte er in seiner Rede zum Thema "Demokratie im Stresstest: Die Europäische Union vor der Europawahl".
Glaubwürdige Beitrittsperspektive
Die deutsche Werteordnung werde geprägt von einem liberalen Menschenbild und der Sozialen Marktwirtschaft. "Jetzt erleben wir, dass es auch andere Ordnungen und Unordnungen gibt", betonte er. "Autokratien in Ankara, in Moskau, und auch aus dem Weißen Haus tweeten Autokraten rund um die Uhr."
Europas Werteordnung mit parlamentarischer Demokratie, Sozialer Marktwirtschaft, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Presse-, Glaubens- und Religionsfreiheit sei aber erhaltenswert. "Dann müssen wir dafür eintreten, wahrnehmbar und überzeugend sein", forderte Oettinger. "Es ist in diesem Jahr wichtiger als jemals zuvor." Die EU stehe 2019 auch vor ungekannten Personalentscheidungen.
Europa sei zuallererst eine "Friedensunion", und die "logische Schlussfolgerung" daraus sei eine Erweiterung im nächsten Jahrzehnt um sechs Westbalkanländer. Man sei hierauf nicht vorbereitet, aber die Beitrittsperspektive für diese Länder müsse glaubwürdig sein, "sonst wenden sie sich von uns ab", mahnte Oettinger. "Dann hätten wir aus der jüngsten Zeitgeschichte nichts gelernt."
Um den Anschluss bei neuen Technologien zu bekommen, mahnte der CDU-Politiker eine stärkere europäische Zusammenarbeit an. vor. "Wir liegen in der digitalen Revolution weit zurück", beklagte Oettinger. Als Antwort müsse man "in europäischen Forschungsteams gemeinsam in den Wettbewerb" gehen.
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January 28, 2019 13:52 ET (18:52 GMT)
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