Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte bei seinen Beratungen am Donnerstag über neue langfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) für Banken diskutieren. Analysten halten es zudem für sicher, dass der volkswirtschaftliche Stab der EZB seine Wachstumsprognose für das laufende Jahr spürbar senken wird. Weiter geht die Einigkeit unter Analysten über das, was die EZB nach ihrer Ratssitzung mitteilen wird, derzeit nicht.
Umstritten ist, ob EZB-Präsident Mario Draghi eine prinzipielle Bereitschaft zu neuen TLTRO bereits bekunden, ob er welche ankündigen oder sogar schon Details mitteilen wird. Auch dass die EZB unter dem Druck schwacher Konjunkturdaten ihre Aussage zum künftigen Zinskurs ändert, ist alles andere als sicher.
Geldpolitische Entscheidungen stehen außerdem in der Türkei, in Kanada und Australien an, und die US-Notenbank veröffentlicht ihr Beige Book. Wichtigste Konjunkturdaten sind die deutschen Auftragseingänge für Januar und der US-Arbeitsmarktbericht für Februar.
Ändert die EZB ihre Forward Guidance?
Wird die EZB ihre Forward Guidance zu den Leitzinsen ändern? Diese Frage beschäftigt Analysten und Finanzmarktteilnehmer wohl am stärksten. Derzeit sagt die EZB, dass die Zinsen "über den Sommer 2019" unverändert bleiben dürften. Zusatz: Oder so lange wie erforderlich. An den Finanzmärkten wird derzeit die Erfordernis eingepreist, die Zinsen bis Mitte 2020 unverändert zu lassen.
Der EZB gefällt das, wie hochrangige Notenbanker von Jens Weidmann bis Peter Praet immer wieder versichern. Könnte die EZB dann nicht einfach nachziehen und ihre Forward Guidance zum Beispiel auf "über den Winter 2019/20" ändern? Nein, das sei nicht so, sagt Praet. Denn erstens seien solche Finanzmarkterwartungen volatil und zweitens hätten sie eine gewisse Bandbreite. Ändert die EZB ihre Forward Guidance, ändert sich die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Prognosen.
Dass Praet so explizit auf diesen Punkt hingewiesen hat, macht eine Änderung der Forward Guidance aus Sicht einiger Analysten eher unwahrscheinlich. Andere Experten sehen einen starken Zusammenhang mit den Stabsprojektionen: Senkt der EZB-Stab seine Wachstums- und Inflationsprognosen deutlich, dann kann die EZB nicht umhin, auch die Forward Guidance zu ändern, meinen sie.
Viele Analysten rechnen mit einer vorsichtigen EZB
Aber wie sehr haben sich die Wachstumsaussichten tatsächlich abgeschwächt, vor allem die längerfristigen? Harte Konjunkturdaten und bei den Unternehmen erhobene Stimmungsindikatoren sehen derzeit schlecht aus, aber die wirtschaftspolitischen Maßnahmen Chinas wecken Hoffnungen auf eine baldige Besserung des außenwirtschaftlichen Umfelds. Störgrößen wie der Handelsstreit mit den USA und der Brexit sind außerdem Unsicherheiten, die auch wieder verschwinden könnten.
Aus diesem Grund dürfte die EZB nach Meinung der meisten Analysten auch bestrebt sein, sich bezüglich künftiger TLTRO möglichst viele Optionen offen zu halten - vielleicht sogar bis Juni. Je nach Ausgestaltung von Laufzeit, Zinsen und anderen Bedingungen könnten die neuen TLTRO sowohl zur Verhinderung eines Liquiditätsabbruchs bei Fälligwerden alter TLTRO dienen, ebenso gut aber zur Aufrechterhaltung einer hohen Überschussliquidität oder sogar zur Stützung des Wachstums.
Die EZB veröffentlicht ihre geldpolitischen Entscheidungen am Donnerstag um 13.45 Uhr. Eine Änderung ihrer Forward Guidance würde sie schon zu diesem Zeitpunkt mitteilen. Gegen 14.30 Uhr beginnt die Pressekonferenz mit Präsident Draghi, der die Stabsprojektionen zu Wachstum und Inflation verlesen und wohl auch Aussagen zu möglichen TLTRO machen wird.
Leitzinsentscheidungen in der Türkei, Kanada und Australien
Geldpolitische Entscheidungen treffen außerdem die Reserve Bank of Australia (Dienstag 4.30 Uhr), die türkische Zentralbank (Mittwoch 12.00 Uhr) die Bank of Canada (Mittwoch 16.00 Uhr). Von keiner der genannten Zentralbanken wird eine Änderung des Leitzinses erwartet.
Die US-Notenbank veröffentlicht am Mittwoch (20.00 Uhr) ihr Beige Book, das die Ergebnisse von Umfragen der regionalen Notenbanken unter ihren Kontakten in der Wirtschaft zusammenfasst und das die Datengrundlage der Zinsentscheidung am 19./20. März bilden wird. Da die Fed jüngst einen Kurswechsel vollzogen hat und nun eine "geduldige Geldpolitik" verfolgt, gilt es als ausgemacht, dass die Leitzinsen im März und darüber hinaus in den nächsten Monaten stabil bleiben werden.
Deutscher Auftragseingang steigt im Januar leicht
Ein wichtiger Gradmesser für künftiges Wirtschaftswachstum im Euroraum sind die Auftragseingänge der deutschen Industrie. Im Dezember waren die Bestellungen gegenüber dem Vormonat um 1,6 Prozent gesunken - hauptsächlich, weil es an Großaufträgen fehlte, wie das Bundeswirtschaftsministerium meinte. Im Falle einer Gegenbewegung in dieser Kategorie könnten die Auftragseingänge im Januar gestiegen sein, meint zum Beispiel die Commerzbank.
Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte prognostizieren einen monatlichen Zuwachs von 0,5 Prozent. Allerdings war die Auftragsentwicklung im Dezember laut Einkaufsmanagerumfrage so schwach wie zuletzt vor sechs Jahren.
Noch sind die Auftragsbestände der deutschen Industrieunternehmen so hoch, dass ein abermaliger Auftragsrückgang wohl nicht unmittelbar produktions- und wachstumswirksam werden würde. Er würde aber den Eindruck stützen, dass die Wachstumsaussichten genauso so schwach sind, wie die Ifo-Geschäftserwartungen es nahe legen. Das Statistische Bundesamt (Destatis) veröffentlicht die Daten am Freitag (8.00 Uhr). Am gleichen Tag (10.00 Uhr) kommen die Auftragseingänge des deutschen Maschinenbaus.
Zusammen mit den Auftragsdaten kommen die zum Industrieumsatz, die normalerweise ein guter Vorlaufindikator der Produktion sind. In den vergangenen Monaten war der Zusammenhang allerdings weniger eng. Das lag daran, dass die Autohersteller viel auf Halde produziert haben, was mit Verzögerung zu Umsätzen führte. So stiegen die Industrieumsätze im Dezember um 2,7 Prozent, die Industrieproduktion aber nur um 0,2 Prozent. Produktionsdaten werden aber erst in der Folgewoche veröffentlicht.
US-Beschäftigung steigt erneut kräftig
Der Arbeitsmarkt bleibt die Hauptstütze für die Konjunktur in den USA. Für Februar rechnen Volkswirte mit einem Zuwachs von rund 180.000 Jobs, nachdem es im Januar schon ein überraschend starkes Plus von 304.000 Stellen gegeben hatte. Der enge Arbeitsmarkt scheint auch zunehmend die Löhne anzuschieben, Experten erwarten eine Steigerung um 0,3 Prozent gegenüber dem Vormonat. Die Vorjahresrate würde damit auf 3,4 Prozent steigen, schreiben die Volkswirte der Commerzbank. Das wäre der höchste Wert seit zehn Jahren.
Erste Hinweise auf die Beschäftigungsentwicklung bringt am Mittwoch (14.15 Uhr) der Bericht des privaten Datenanbieters ADP. Am Dienstag werden der ISM-Index für den US-Dienstleistungssektor veröffentlicht und die europäischen Einkaufsmanagerindizes (zweite Veröffentlichung). Am Montag (10.30 Uhr) kommen die Konjunkturindizes des Beratungsunternehmens Sentix für Deutschland und den Euroraum.
Mitarbeit: Andreas Plecko
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
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March 01, 2019 08:04 ET (13:04 GMT)
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