Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag ihre Geldpolitik überraschend erneut gelockert. Die Notenbank will den Leitzins nun bis mindestens Ende 2019 nicht anheben. Zudem kündigte sie neue Langfristkredite für die Banken an. EZB-Präsident Mario Draghi begründete die Maßnahmen mit den deutlich gesenkten Konjunkturprognosen und einer tiefgreifenden Unsicherheit.
Das sagen Experten zu den Beschlüssen:
Uwe Burkert, Chefvolkswirt und Leiter LBBW Research:
"Jetzt ist die Katze aus dem Sack. Die Leitzinsen sind bis mindestens Ende des Jahres festgeschrieben. Ab September dreht die EZB auch den Liquiditätshahn wieder auf. Die Tender dürften wieder Zinsvergünstigungen für eine steigende Kreditgewährung enthalten. Dafür ist ihre Laufzeit auf zwei Jahre begrenzt und die Refinanzierungskosten sind nicht gegen steigende Leitzinsen geimpft. Damit will der EZB-Rat sich (oder vielmehr Draghis Nachfolger) freie Hand lassen, falls die Konjunktur im Euroraum doch wieder schnell die Kurve nach oben bekommt. Aber in Grundzügen war das so erwartet worden: Die EZB macht sich ernste Sorgen über die Konjunktur, und sie hat eigentlich nur noch die Forward Guidance und gezielte Tender in ihrer Werkzeugkiste."
Christian Lips, Analyst bei der NordLB:
"Der EZB-Rat hat einstimmig (!) die Zinswende weit in die Zukunft verschoben - diese könnte gar bis zum nächsten Aufschwung auf sich warten lassen. Dies drückt auch die längerfristige Rendite von Bundesanleihen abwärts, angesichts hoher politischer Risiken sind gar Negativrenditen wieder möglich. Offensichtlich wurde der richtige Zeitpunkt für die Zinswende verpasst, im aktuellen Umfeld erscheint eine Leitzinsanhebung in der Tat als nicht adäquat."
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING Deutschland:
"Jeder nächste Schritt von hier aus, um einen drastischen Abschwung der Wirtschaft in Angriff zu nehmen, erfordert jetzt beispiellose Maßnahmen. Auf jeden Fall bedeutet das heutige EZB-Treffen, dass Mario Draghi der erste EZB-Präsident sein wird, der während seiner Amtszeit nie die Zinsen erhöht hat."
Alexander Krüger, Chefvolkswirt Bankhaus Lampe:
"Die Medizin, die sie verabreicht, kann unseres Erachtens aber nicht zur Gesundung beitragen, sie sichert nur den Status quo. Bis es nun geldpolitisch ansatzweise zu einem Normalisierungskurs kommt, wird nach den heute beschlossenen Maßnahmen wohl noch einige Zeit vergehen. Eine Leitzinswende hat sich jedenfalls auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Dies dürfte vor allem auch mit Blick auf die noch optimistische EZB-Wachstumsprojektion für 2020 gelten, für die wir weiteres Abwärtspotenzial sehen. Alles in allem zeigt das EZB-Vorgehen, dass ihr extremer Krisenmodus zum Standard geworden ist - die Japanisierung des Euroraums schreitet voran."
Ralf Umlauf, Analyst bei der Landesbank Hessen-Thüringen:
"Die EZB hat sich durch die hochgesteckten Markterwartungen beeinflussen lassen und die Guidance verändert und neue Langfristtender angekündigt. Ordnungspolitisch ist dies nicht zu begrüßen, denn so werden insbesondere südeuropäische Banken nicht dazu veranlasst, sich andere Finanzierungsquellen zu erschließen."
Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank:
"Nach der Fed hat nun auch die EZB ihr geldpolitisches Ruder gewaltig herumgerissen: Eine Zinsanhebung in der zweiten Jahreshälfte 2019 ist vom Tisch. Auch wird es keine Neuauflage des Rentenankaufprogramms geben - schließlich hatten die europäischen Währungshüter dieses erst im Dezember 2018 auslaufen lassen. Ein Neustart nach so kurzer Zeit käme dem Eingeständnis einer groben Fehleinschätzung gleich. (...) Die aktuellen Schwenks der Notenbanken in den USA und in Europa demonstrieren pure Panik. Dabei gibt es dafür keinen Grund: Der ewige Hinweis auf geopolitische Risiken verfängt schon lange nicht mehr. Der internationale Handelsstreit könnte schneller als gedacht gütlich beendet sein. Selbst ein dirty Brexit könnte ausfallen."/jsl/bgf/jha/
AXC0273 2019-03-07/17:11