LONDON/STRASSBURG (dpa-AFX) - Vor der Abstimmung über das Brexit-Abkommen im britischen Parlament hat Premierministerin Theresa May einen Durchbruch in den Nachverhandlungen mit der EU angepeilt. Die Regierungschefin kam am Montagabend zu Last-Minute-Gesprächen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach Straßburg. Brexit-Experten im Europaparlament rechneten mit einem Formelkompromiss. So will May sich im Unterhaus doch noch eine Mehrheit für das in London umstrittene Austrittsabkommen sichern.
Bereits am Dienstag werden die britischen Abgeordneten darüber abstimmen. Bis zuletzt galt als wahrscheinlich, dass der mit Brüssel ausgehandelte Deal scheitern wird. Nach tagelangem Stillstand in den Gesprächen mit der EU suchte May mit der überraschenden Reise nach Straßburg einen Kompromiss in letzter Minute, um genügend Unterstützung zu gewinnen. Juncker empfing sie gemeinsam mit EU-Chefunterhändler Michel Barnier.
Der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, twitterte, er hoffe auf Fortschritte, denn ein Brexit ohne Vertrag wäre eine Katastrophe. Der CDU-Brexit-Beauftragte Elmar Brok sagte der Deutschen Presse-Agentur, ein Kompromiss sei möglich. "Die Chance ist da", sagte Brok der Deutschen Presse-Agentur. SPD-Europapolitiker Udo Bullmann erklärte der dpa, große Zugeständnisse über die bereits bekannten Positionen hinaus seien von der EU aber nicht zu erwarten.
Knackpunkt ist der sogenannte Backstop; das ist die von Brüssel geforderte Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Bisher ist vorgesehen, dass Großbritannien so lange als Ganzes in einer Zollunion mit der EU bleiben soll, bis eine andere Lösung gefunden ist. Doch das lehnen die Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei ab.
Die EU hatte zuletzt rechtlich bindende Zusicherungen in Aussicht gestellt, dass der Backstop wenn überhaupt nur kurz genutzt werden soll. Außerdem schlug Barnier vor, Großbritannien könne die Zollunion einseitig verlassen, solange Sonderregeln für Nordirland gültig blieben.
Im Fall einer Ablehnung des Vertrags am Dienstag will May die Parlamentarier am Mittwoch über ein Ausscheiden ohne Deal abstimmen lassen. Wird auch das abgelehnt, sollen die Abgeordneten am Donnerstag entscheiden, ob London eine Verschiebung des Brexits beantragen soll.
Die Brexit-Schicksalswoche hatte chaotisch begonnen. Es gab Spekulationen, die Premierministerin könne die Abstimmung verschieben oder zu einer Abstimmung über einen Wunsch-Deal ummünzen. Einige Abgeordnete ihrer Partei drohten May sogar mit einer Revolte.
Schon einmal war May mit dem Abkommen krachend im Unterhaus gescheitert. Das Parlament ist im Brexit-Kurs vollkommen zerstritten.
Großbritannien will sich am 29. März von der EU trennen. Die EU-Kommission hofft nach wie vor auf eine Ratifizierung des Austrittsvertrags vor diesem Datum. Man sei "jederzeit offen für weitere Treffen der Unterhändler", sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas schon am Mittag in Brüssel. Zu dem Zeitpunkt sagte er aber auch, weitere Spitzentreffen seien nicht geplant. Stunden später wurde dann doch Mays Reise nach Straßburg bestätigt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warb für die jüngsten Brexit-Vorschläge der EU-Kommission. Damit sei "ein wichtiges Angebot" in Richtung Großbritannien gemacht worden, sagte sie in Berlin. Es sei sehr begrüßenswert, dass die Kommission eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht habe, wie bei Beibehaltung des Austrittsabkommens "noch einmal sehr viel mehr rechtliche Klarheit" geschaffen werden könne. Es liege an London, darauf zu antworten./si/DP/fba
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