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LONDON/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Der britische Schatzkanzler Philip Hammond hat vor der Abstimmung im Parlament über einen Brexit ohne Abkommen eindringlich vor den Konsequenzen eines "No Deals" gewarnt. Großbritannien werde in diesem Fall "erheblichen Verwerfungen" ausgesetzt sein, sagte Hammond bei der Vorstellung seiner Haushaltspläne am Mittwoch im Unterhaus.
Die erneute Ablehnung des Brexit-Deals von Premierministerin Theresa May am Dienstag habe die Unsicherheit für die Wirtschaft verlängert. "Wir können nicht zulassen, dass es so weitergeht: Das schadet unserer Wirtschaft und unserem Stand und Ansehen in der Welt."
Hammond rief die Abgeordneten dazu auf, die Gefahr eines unmittelbaren Brexits ohne Abkommen bei der Abstimmung am Abend auszuschalten. Das Parlament solle dann einen Fahrplan für einen überparteilichen Konsens entwerfen, der zu einem Austrittsabkommen führe, "das wir alle unterstützen können".
Beobachter interpretierten den Vorstoß Hammonds als Werbung für einen Brexit mit engerer Bindung an die EU. Die Labour-Opposition fordert für die Zeit nach dem EU-Austritt eine Zollunion mit der EU und eine enge Anbindung an den Binnenmarkt. May lehnt das bisher strikt ab.
Die britische Regierung korrigierte ihre Wachstumsprognose nach unten. In diesem Jahr sei mit einem Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent zu rechnen, sagte Hammond. Bisher hatte die Prognose 1,6 Prozent betragen. Für 2020 wurde die Erwartung bei 1,4 Prozent belassen. Die Wachstumsprognosen werden von dem unabhängigen Haushaltsbüro OBR für die Regierung erstellt.
Am Morgen hatte die Regierung bereits weitere Pläne für einen Austritt ohne Abkommen vorgelegt. London will dann vorübergehend auf einen Großteil seiner Importe keine Zölle erheben, um ein Chaos an seinen Grenzen und dramatische Preiserhöhungen für Verbraucher und Unternehmen zu verhindern.
Politisch heikle Kontrollen an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland will London vermeiden, indem auf Waren aus der Europäischen Union überhaupt keine Zölle erhoben werden, solange sie für den nordirischen Markt bestimmt sind. Sollten sie via Nordirland in andere Teile des Vereinigten Königreichs gehen, würden aber Abgaben anfallen.
In Brüssel sorgten die Pläne für Verwunderung. Man werde sie genau anschauen, sagte ein Kommissionssprecher am Mittwoch. Die unterschiedliche Behandlung der Waren wecke Bedenken.
Anders als die britische Regierung will die EU bei einem Brexit ohne Vertrag nicht auf Einfuhrzölle auf britische Waren an der irischen Grenze verzichten. Man werde in so einem Fall die üblichen Regeln für Drittländer auf alle Importe aus Großbritannien anwenden, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. "Die EU wird die Integrität des Binnenmarkts und der Zollunion unter allen Szenarien sicherstellen."
Das Unterhaus-Votum über einen EU-Austritt ohne Abkommen ist am Mittwoch ab 20 Uhr geplant. Sollte der No-Deal-Brexit wie erwartet abgelehnt werden, entscheiden die Parlamentarier am Donnerstag, ob London eine Verschiebung des Austritts beantragen soll.
Die EU-Staaten erwägen Bedingungen für eine mögliche Verschiebung des Brexits auf Antrag Großbritanniens. Die entscheidende Frage sei, wofür die gewonnene Zeit genutzt werden solle, sagten Diplomaten nach einem Treffen der Botschafter der 27 bleibenden EU-Staaten in Brüssel.
Vorstellbar seien nur drei Gründe, sagte ein Diplomat der Deutschen Presse-Agentur: die Ratifizierung des bisher abgelehnten Austrittsvertrags in Großbritannien, zusätzliche Zeit für die Vorbereitung auf einen harten Bruch oder aber Zeit für ein Referendum oder eine Neuwahl in Großbritannien.
May hob für die Abstimmung am Mittwoch den Fraktionszwang im Regierungslager auf. Sie kämpft weiter für einen geregelten Brexit. Am Dienstag hatten die Abgeordneten zum zweiten Mal gegen das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen gestimmt, obwohl May in Last-Minute-Gesprächen Zugeständnisse der EU erreicht hatte.
Auch das EU-Parlament verabschiedete am Mittwoch eigene Notfallmaßnahmen für den Fall eines ungeregelten EU-Austritts Großbritanniens. Damit soll sichergestellt werden, dass Bürger und Unternehmen möglichst wenig unter den Folgen des No-Deal-Brexits leiden müssen, teilte das Parlament nach der Abstimmung mit. Formell muss noch der Rat der Mitgliedstaaten noch grünes Licht dafür geben.
Diese Gefahr sei nach dem erneuten Nein des Unterhauses zum Abkommen erneut gewachsen, sagte der Brexit-Unterhändler der EU, Michel Barnier, im EU-Parlament. "Das No-Deal-Risiko war noch nie so hoch."
Der Industrieverband CBI betrachtete die Zollpläne Londons als Beleg dafür, dass ein EU-Austritt ohne Abkommen unbedingt verhindert werden müsse. "Das sagt uns alles darüber, was falsch ist am No-Deal-Szenario", sagte CBI-Direktorin Carolyn Fairbairn der BBC.
CSU-Europapolitiker Manfred Weber sprach sich für ein zweites Referendum in Großbritannien aus. "Es wäre der logische nächste Schritt, die Menschen erneut zu fragen", sagte der Fraktionschef und Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei im Europaparlament.
Die Beschlussvorlage der Regierung in London für die bevorstehende Abstimmung sieht vor, dass ein No-Deal-Brexit für den 29. März abgelehnt wird. Für die Zeit danach soll das aber nicht gelten.
Ein Ja zu einem No Deal will May dagegen als Handlungsanleitung interpretieren. "Wenn das Unterhaus dafür stimmt, ohne ein Abkommen am 29. März auszutreten, wird es die Linie der Regierung sein, diese Entscheidung umzusetzen", sagte May. Die Abgeordneten legten mehrere Änderungsanträge vor, von denen nur zwei zur Abstimmung zugelassen wurden. Abgestimmt werden soll unter anderem über den Vorschlag, ein Ausscheiden ohne Abkommen in jedem Fall abzulehnen. Rechtlich verbindlich ist die Abstimmung aber ohnehin nicht.
Der Brexit betrifft auch viele Briten in Deutschland. 105 480 Briten ohne Doppelpass in Deutschland stehen nach dem EU-Austritt ihres Landes vor einer ungewissen Zukunft. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Frage der FDP-Abgeordneten Linda Teuteberg hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Der Großteil der Briten in Deutschland wird sich nach dem Brexit um einen Aufenthaltstitel bemühen müssen./cmy/DP/edh
AXC0315 2019-03-13/18:59