BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Industrie hat die Bundesregierung angesichts eines immer wahrscheinlich werdenden ungeordneten Brexits vor einem Einbruch des Wirtschaftswachstums gewarnt. Bei einem Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne Abkommen drohe das deutsche Wachstum auf lediglich 0,7 Prozent zu fallen, warnte BDI-Präsident Dieter Kempf. Zuvor hatte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) für dieses Jahr noch 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum prognostiziert. Deutsche Exporte würden real wohl in diesem Jahr nur noch um 1,5 Prozent wachsen, so der BDI.
Mit der zweiwöchigen Verschiebung des Brexits auf den 12. April "setzt sich die kraftraubende Unsicherheit für unsere Unternehmen fort", sagte Kempf. "Es besteht die Gefahr, dass die britische Politik ein weiteres Mal auf Kosten der Wirtschaft teuer Zeit erkauft - ohne die Rechnung verantworten zu wollen." Ein ungeregelter Brexit wird besonders von der Wirtschaft gefürchtet, da über Nacht Zölle eingeführt werden müssten, die den Handel mit dem wichtigen Partner Großbritannien erschweren würde.
Kempf kritisierte die Bundesregierung dafür, dass sie sich auf den guten wirtschaftlichen Zeiten ausruhe und Investitionen und Innovationen in den aktuellen Haushaltsplanungen zurückzufahre, anstatt sie anzukurbeln. "Es wird höchste Zeit für eine Wirtschaftspolitik, die Deutschlands Zukunft im Blick hat. Sie muss zugleich europäische und internationale Wetterumschwünge frühzeitig erkennen", sagte Kempf.
Da die Bundesregierung sich vom Ziel entferne, 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren, gebe "die große Koalition das Geld falsch aus", so Kempf. Angesichts der globalen Herausforderungen und der Fortschritte anderer Länder bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz müsse die EU mehr tun, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. "Die Institutionen der Europäischen Union müssen sich wieder um mehr kümmern als nur um den Abschied der Briten", forderte Kempf.
Am Montag berät das britische Parlament erneut über Alternativen zum abgelehnten Austrittsvertrag. Bislang wurde der mit der Europäischen Kommission ausgehandelte Abkommen drei Mal vom britischen Unterhaus abgelehnt. Nun hat Großbritannien bis zum 12. April Zeit, um noch eine Lösung zu finden oder eine erneute Verschiebung des Brexit zu beantragen. Andernfalls scheidet Großbritannien aus der EU ohne Abkommen aus, was die Kommission nun als wahrscheinlichstes Szenario sieht.
Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, plädierte im Deutschlandfunk dafür, den Brexit um zwei Jahre zu verschieben. Ein harter Brexit wäre das schlechteste Szenario und könnte "der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt". "Das könnte dann dazu führen, dass wir von einem schwachen Wachstum zu einer leichten Schrumpfung der Wirtschaft übergehen, und das würde man dann eine Rezession nennen", sagte Fuest.
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April 01, 2019 07:23 ET (11:23 GMT)
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