Mainz (ots) - Beim Brand der Kathedrale Notre-Dame hätten Dutzende oder Hunderte Menschen sterben können - eingeschlossen vom bestialischen Feuer, erschlagen von herabfallenden Balken. Es geschah nicht. Daran dankbar zu erinnern, ist kein Sakrileg, keine Missachtung der bitteren Tränen, die vergossen werden. Unwiederbringliche Kulturgüter sind zerstört worden, identitätsstiftende Symbole der Kunst und - daran darf wenige Tage vor Ostern erinnert werden - Symbole des christlichen Glaubens. Es war ein furchtbares Unglück, vielleicht schicksalhaft. Vielleicht aber auch verschuldet durch eine gewisse Sorglosigkeit, die sich auch bei jedem von uns breitmachen kann, wenn manche Dinge als einfach "nicht vorstellbar" gelten, als Schläge, die das Schicksal niemandem zufügt, weil ja auch schon Jahrhunderte lang alles gut gegangen ist? Die nur scheinbar banale Frage, ob alle angemessenen Möglichkeiten des Brandschutzes ergriffen worden waren - auch sie ist keine Pietätlosigkeit, auch sie muss erlaubt sein. Wie von selbst gehen nun die Gedanken zurück an den 11. September 2001 in New York, aber genauso an den 7. Januar und den 13. November 2015 in Paris, als islamistische Terroristen bei Anschlägen auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und den Konzertsaal Bataclan 140 Menschen ermordeten, mit automatischen Waffen und Handgranaten. Die Feuersbrunst in Notre-Dame war, nach allem, was bislang bekannt ist, kein Terroranschlag. Es mag traurig klingen, aber in Zeiten wie den unseren verdient auch dies besondere Erwähnung. Doch auch, wenn es "nur" ein schicksalhaftes Unglück war: Frankreich weint, und es sind nicht nur die Tränen von Christen. Sehr viele Menschen in Europa und der ganzen Welt trauern mit Frankreich, und es ist nicht nur die Trauer von Christen. Und dennoch soll - wenige Tage vor Ostern - daran erinnert werden, dass die Christen in aller Welt mit Ostern nach der Trauer des Karfreitags Hoffnung verbinden. Bei dieser Hoffnung geht es um Solidarität und (Nächsten-)Liebe. Solidarität kann in profaner, politisch gleichwohl existenziell wichtiger Weise geübt werden: Gut wäre, wenn sich Europäer auch jenseits des Ärmelkanals und im Osten der EU angesichts der Feuersbrunst von Paris an die sinnvolle Tugend des Zusammenstehens erinnern würden. Was die Liebe angeht, liefert Notre-Dame selbst eine wunderbar symbolhafte Geschichte. Der französische Schriftsteller Victor Hugo hat sie 1831 geschrieben. Sie handelt von Quasimodo, dem Glöckner von Notre-Dame, einem wegen körperlicher Missbildungen Ausgestoßenen, und von Esmeralda, einer schönen Zigeunerin. Er stürzt seinen Ziehvater vom Turm in den Tod, um sie vor dem Galgen zu retten. Es gelingt ihm nicht. Viel später werden in einer Gruft zwei ineinander verschlungene Skelette gefunden, die von Esmeralda und Quasimodo. Bei dem Versuch, sie voneinander zu trennen, zerfällt Quasimodos Skelett zu Staub. Zugegeben: eine sehr französische Geschichte, ganz nach dem Geschmack der von Emotion und Temperament stets getragenen und bewegten Grande Nation. Aber die Geschichte zeigt, dass Hoffnung und Liebe nicht enden, wenn Menschen und Dinge zu Staub werden.
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