
--Konzentrierte Anstrengungen von Politik und Unternehmen nötig
--Deutschland wegen verarbeitenden Gewerbe vom Wandel besonders betroffen
--Rückgang deutscher Beschäftigung unwahrscheinlich
--Unklar, ob neue Jobs in Deutschland gut bezahlt sein werden
Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Der technologische Fortschritt und die Globalisierung wird in den nächsten Jahren zu einem Verlust von 14 Prozent der aktuellen Arbeitsplätze in den Industrieländern führen. Das geht aus dem diesjährigen Beschäftigungsausblick der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Die Organisation fordert daher "konzertierte Politikanstrengungen", um Beschäftige den neuen Anforderungen anzupassen.
Nach Berechnungen der OECD könnten in den nächsten 15 bis 20 Jahren 14 Prozent der aktuellen Arbeitsplätze aufgrund von Automatisierung verschwinden. Weitere 32 Prozent dürften sich radikal verändern, da einzelne Tätigkeitsbereiche automatisiert werden.
"Es ist eine Zeit tiefgreifenden Wandels: Disruption ist die neue Normalität", erklärte OECD-Generalsekretär Angel Gurria in dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht. "Das hohe Tempo der sich vollziehenden Veränderungen erfordert rasches und entschlossenes Handeln seitens der Politik." Ziel müsse dabei ein inklusives und nachhaltiges Wachstum sein. Daher müssten die Politik sich stärker um diejenigen kümmern, die den Anschluss zu verlieren drohen, um ihnen bessere Beschäftigungsaussichten zu eröffnen, so die OECD. Unternehmen und Einzelpersonen sollten gezielt auf lebenslanges Lernen setzen, um sich der sich wandelten Arbeitswelt anzupassen.
"Eines ist klar: Mit kleinen Schritten ist es nicht getan. Arbeitskräfte, Unternehmen, Sozialpartner und allen voran die Politik müssen eingefahrene Vorgehensweisen ändern", forderte OECD-Beschäftigungsökonom Stefano Scarpetta.
Wachsende Einkommens- und Chancenungleichheiten
Bei den Menschen würden die Veränderungen Zukunftsängste hervorrufen. Denn wachsende Einkommens- und Chancenungleichheiten, Verzerrungen im grenzüberschreitenden Wettbewerb, eine als ungerecht empfundene Besteuerung, der drohende Klimawandel und die weltweite Konjunkturverlangsamung weckten Besorgnis, so die Experten.
"Dieser Bericht zeigt auf, dass den Arbeitskräften durch wirkungsvolle und rasch angebotene Arbeitsvermittlungsdienste sowie frühzeitig greifende vorbeugende Maßnahmen bei Arbeitsplatzsuche und Arbeitsplatzwechsel geholfen werden muss", erklärte Gurria. Wichtig sei auch die Einrichtung von umfassenden Weiterbildungsstrategien und -systemen vor allem für Geringqualifizierte, um der Entwertung und Veralterung von Kompetenzen entgegenzuwirken und die Arbeitsplatzmobilität zu fördern.
Problematisch sei, dass viele Menschen und Bevölkerungsgruppen bei der Globalisierung den Anschluss verloren hätten. Auch bestünde beim Zugang zu neuen Technologien nach wie vor eine digitale Kluft. Vielen blieben nur geringentlohnte Arbeitsplätze.
"Zudem besteht begründete Besorgnis über eine mögliche 'Aushöhlung' der Mittelschicht infolge des technologischen Fortschritts, in dessen Zuge viele unsichere, qualitativ minderwertige Arbeitsplätze entstehen", warnte Gurria.
Automatisierungsrisiko für Deutschland besonders hoch
Besonders für Deutschland bedeutet die fortschreitende Digitalisierung wegen des hohen Stellenwerts des verarbeitenden Gewerbes eine massive Veränderung. Weltweit ist in den vergangenen 20 Jahren im verarbeitenden Gewerbe die Beschäftigung um 20 Prozent geschrumpft, während sie im Dienstleistungssektor um 27 Prozent expandiert hat, so die Ökonomen.
Nach Schätzungen der OECD sind 18,4 Prozent der deutschen Arbeitsplätze einem hohen Automatisierungs- und Änderungsrisiko ausgesetzt. Das ist mehr als im Durchschnitt der 34-OECD Länder, wo das Risiko bei 14 Prozent der Stellen liegt.
"Die Gesamtbeschäftigung dürfte nicht sinken, aber Unterschiede am Arbeitsmarkt könnten zunehmen", so die OECD in ihren Ausführungen zu Deutschland. "Trotz weit verbreiteter Angst vor einer Zerstörung von Arbeitsplätzen durch technologischen Wandel und Globalisierung ist ein starker Rückgang der Gesamtbeschäftigung unwahrscheinlich."
Allerdings warnte die Pariser Organisation, dass der Übergang "nicht einfach" sein werde. "So ist nicht sicher, ob es sich bei den neuen Jobs um 'gute' Arbeit handelt, und die Unterschiede im Arbeitsmarkt könnten zunehmen, da bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern größeren Risiken ausgesetzt sind als andere", heißt es im Bericht.
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April 25, 2019 03:45 ET (07:45 GMT)
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