BERLIN (Dow Jones)--Vor dem Hintergrund der deutlich eingetrübten Konjunktur ist in Kiel der Arbeitskreis Steuerschätzung zusammengekommen, um bis Donnerstag die neuesten Einnahmezahlen zu berechnen. Erwartet werden deutlich geringere Zuwächse als noch vor einem halben Jahr prognostiziert. Die deutsche Industrie forderte die Regierung aber zum Auftakt der Beratungen der Schätzer zu einer Senkung der Belastungen für die Unternehmen auf. "Der Handlungsdruck nimmt zu", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will die neue Steuerschätzung am Donnerstagnachmittag bekanntgeben. Schon jetzt ist klar, dass die Experten von Bund, Ländern und Sozialversicherungen ihre Einnahmeerwartungen deutlich senken werden. Zwar steigen die Einnahmen wohl weiter, aber lange nicht mehr so stark wie bisher angenommen. Die Rede ist von Mindereinnahmen von rund 100 Milliarden Euro bis 2023, davon allein rund 75 Milliarden Euro weniger beim Bund, wie das Handelsblatt berichtete.
Der BDI mahnte aber, die Unternehmen warteten ungeduldig "auf die dringend notwendige Modernisierung des Unternehmensteuerrechts". Den internationalen Steuerwettbewerb dürfe die Bundesregierung nicht länger ignorieren. "Die effektive Unternehmensteuerlast in Deutschland muss auf 25 Prozent sinken", forderte Lang. "Noch nie hatte Deutschland so hohe Steuereinnahmen wie heute, daran werden die korrigierten Schätzungen nichts ändern." Gerade weil sich die konjunkturellen Aussichten eintrüben dürften, müsse die Politik jetzt gegensteuern. Gewinne und Investitionen abwandern zu lassen, sei keine Alternative.
Scholz hat allerdings bereits im Vorfeld eine Unternehmenssteuerreform erneut abgelehnt. Man habe "ein sehr modernes Unternehmenssteuerrecht", das es gegebenenfalls zu "justieren" gelte, sagte er im Deutschlandfunk. Angesichts der sich abzeichnenden schlechteren Entwicklung bei den Steuereinnahmen forderte Scholz, dass seine Kabinettskollegen ihre Ausgabenpläne auf den Prüfstand stellen. "Alle Ressorts müssen noch mal gucken, ob sie vielleicht nicht doch ein paar Projekte haben, die auch ein bisschen später kommen können." Die Verantwortung nehme zu, Prioritäten zu setzen.
Die schlechtere Lage der Steuereinnahmen könnte so zum Prüfstein für die Koalition werden. Denn die Entwicklung hat schon im Vorfeld die Union auf den Plan gerufen, die mit dem Ende der sprudelnden Steuerquellen Sozialprojekte infrage stellt. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat für Anfang Juni eine Vorstandsklausur ihrer Partei angesetzt, um Konsequenzen aus der Schätzung zu ziehen, und Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) will eine Generalrevision des Budgets. "Alle Ausgaben müssen auf den Prüfstand", sagte er der Funke-Mediengruppe. Der BDI forderte hingegen, die Politik müsse "mutiger vorgehen" und das Volumen der steuerlichen Forschungsförderung erhöhen.
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May 07, 2019 06:20 ET (10:20 GMT)
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