Von Manuel Priego Thimmel
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Zentralbanken haben kapituliert. Während zu Jahresbeginn noch Zinserhöhungen in den USA und ein Ende der lockeren Geldpolitik im Euroraum erwartet wurden, hat sich das Bild in der Zwischenzeit ins Gegenteil verkehrt. Bis Mitte 2020 werden nun drei Zinssenkungen in den USA an den Märkten eingepreist. Hauptgründe für die Kehrtwende sind die hohen geopolitischen und die damit verbundenen Wachstumsrisiken sein. Über die Sommermonate zeichnet sich eine hohe Volatilität an den Börsen ab.
Nun ist es offiziell: US-Notenbankchef Jerome Powell hat die Bereitschaft seines Hauses zum Handeln unterstrichen, sollte der US-chinesische Handelskonflikt zum Belastungsfaktor für die US-Wirtschaft werden. Auch in der Eurozone hat man sich von einer Normalisierung der Geldpolitik verabschiedet. EZB-Präsident Mario Draghi brachte auf nach der jüngsten EZB-Entscheidung gleich mehrfach die Möglichkeit einer Senkung des Einlagesatzes ins Spiel - sie könnte im vierten Quartal kommen.
Die aktuelle weltwirtschaftliche Verfassung ist weniger der Grund für den radikalen Schwenk. Der Wirtschaftszyklus ist zwar schon alt und das Wachstum hat seinen Zenit schon lange überschritten, aber eine Rezession zeichnet sich aktuell weder in den USA noch in Europa ab. Das dürften auch die Konjunkturdaten in der kommenden Woche zeigen. Daneben hat China zu Jahresbeginn eine ganze Reihe von Wirtschaftsstimuli auf den Weg gebracht, die ab dem zweiten Halbjahr ihre Wirkung entfalten dürften.
Handelskonflikt wird sich noch lange hinziehen
Der Hauptgrund für den Richtungswechsel der Notenbanker dürften der wachsende Druck durch die Märkte sowie eskalierende Handelskonflikte sein. Die inverse US-Zinsstrukturkurve, die auch von den Währungshütern genau verfolgt wird, gilt traditionell als möglicher Frühindikator für eine heraufziehende Rezession in den USA. Auch Analysten warnen: Die Societe Generale stellt sich für Mitte 2020 auf einen US-Konjunkturrückgang ein.
Daneben bleiben die inhärenten Risiken in der Eurozone bestehen. Das Thema Italien wird die Finanzminister der Eurozone beschäftigen, wenn sie kommenden Donnerstag in Luxemburg zusammenkommen. Der Eurogruppe liegt die Empfehlung der EU-Kommission vor, gegen das Land ein Defizitverfahren wegen dessen Budgetpolitik zu eröffnen. Bis dahin ist es zwar noch ein langer Weg, aber der Ton zwischen Rom und Brüssel droht sich in den kommenden Wochen zu verschärfen mit möglichen Verwerfungen an den Finanzmärkten.
Mit Blick auf den Handelskonflikt haben sich die Börsianer in der Zwischenzeit von der Vorstellung einer baldigen Lösung verabschiedet. Sie haben eingesehen, dass die Chinesen - wenngleich auf ersten Blick angreifbarer als die USA -, nicht einfach einknicken werden. China will bis 2025 Weltmarktführer in so kritischen Technologien wie Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge und Robotik werden und damit zum direkten strategischen Rivalen der USA aufsteigen. Dieses Ziel wird China nicht aufgeben.
Neue Blasengefahren durch Zentralbanken-Put
In Washington hat man die Zeichen der Zeit erkannt und US-Präsident Donald Trump erfreut sich in seiner China-Politik parteiübergreifender Unterstützung. Nicht nur hat Trump bekanntlich neue Zölle eingeführt und droht mit weiteren, sondern auch damit begonnen, einzelne chinesische Unternehmen mit Sanktionen zu belegen.
Ganz schlecht an den Märkten kam die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump an, ab dem 10. Juni Strafzölle von 5 Prozent auf mexikanische Importe zu erheben, sollte die Regierung von Andrés Manuel López Obrador keine wirksamen Maßnahmen gegen die illegale Einwanderung in die USA unternehmen. Die Zölle sollen dann schrittweise bis Oktober auf 25 Prozent steigen. Pures Gift aus Börsensicht ist hierbei, dass Einwanderungs- und Handelspolitik in einen Topf geschmissen werden - damit ist der Willkür Tür und Tor geöffnet.
Die Anleger sollten sich also auf einen volatilen Sommer an den Börsen vorbereiten. Einerseits bleibt das Schlagzeilenrisiko in Sachen Handelsstreit hoch, andererseits dürften schwache Konjunkturdaten immer wieder neue Rezessionsängste aufkommen lassen. Ein Gegengewicht zu diesen Risiken bildet der neue Zentralbanken-Put - die Erwartung also, dass die Zentralbanken bei Bedarf akkomodierend eingreifen werden. Dadurch steigt zwar die Gefahr neuer Blasen an den Märkten, das dürfte die Börsianer aber kaum um ihren Schlaf bringen.
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June 07, 2019 06:24 ET (10:24 GMT)
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