Als Überraschungskandidatin für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin kämpft Ursula von der Leyen mit großen Vorbehalten im EU-Parlament. Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold zog eine Unterstützung seiner Partei am Freitag in Zweifel und verlangte vorab Zusagen für ein anderes Auswahlverfahren beim nächsten Mal. Notfalls müsse man die für 16. Juli geplante Wahl der Kommissionschefin verschieben. Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft trotzdem auf breiten Rückhalt für ihre Verteidigungsministerin.
Eine Mehrheit im EU-Parlament hatte sich eigentlich festgelegt, nur einen der Spitzenkandidaten zur Europawahl zum Kommissionschef zu wählen. Doch die EU-Staats- und Regierungschefs hatten die Bewerber Manfred Weber (CSU) von der Europäischen Volkspartei (EVP) und Frans Timmermans von den Sozialdemokraten übergangen und stattdessen überraschend die deutsche Ministerin nominiert. Viele Abgeordnete sind aufgebracht. Eine Mehrheit für von der Leyen ist nicht sicher, die deutschen Sozialdemokraten haben bereits ein Nein angekündigt.
Giegold sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Grünen bräuchten eine verbindliche Zusage des Europäischen Rats zur Sicherung des Spitzenkandidatenprinzips und zur Einführung transnationaler Listen mit Kandidaten, die überall in Europa wählbar wären. "Da das bis Mitte Juli kaum möglich sein wird, muss man eben später abstimmen", fügte Giegold hinzu.
Weber als EVP-Fraktionsvorsitzender forderte, das Spitzenkandidatenprinzip verbindlich zu verankern. Auch von der Leyen habe "das schon als eines ihrer Projekte benannt", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Samstag).
Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer stellte nach einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland noch weitere Bedingungen, darunter ein Initiativrecht des Europaparlaments für Gesetze und eine Einbindung bei außenpolitischen Entscheidungen. Bütikofer forderte zudem, dass eine CO2-Steuer eingeführt wird und dass im Mittelmeer wieder eine EU-Seenotrettungsmission aufgenommen wird.
Das Verfahren zur Auswahl der Kandidatin traf auch bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf Kritik: "Der Prozess war nicht sehr transparent." Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) äußerte sich in der "Augsburger Allgemeinen" (Freitag) ähnlich, riet dem Europaparlament aber dennoch zu Zustimmung.
Bundeskanzlerin Merkel sagte am Freitag in Polen, sie wolle alles für eine gute Mehrheit für von der Leyen im EU-Parlament tun und die Kandidatin selbst werde Überzeugungsarbeit leisten. "Ich kann es sehr gut verstehen, wenn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die sie noch nicht so gut kennen, die Meinung haben, dass sie ihre Inhalte, ihre Vorstellungen von der Zukunft Europas kennenlernen wollen", sagte Merkel. "Und so wie ich Ursula von der Leyen kenne, hat sie da eine Menge in petto und viele Vorschläge und Ideen."
Für nächste Woche hat von der Leyen mehrere Termine im Europaparlament vereinbart, darunter mit der Fraktionsspitze der Grünen am Montag und mit den Liberalen am Mittwoch. Sie will auch in die Konferenz der Fraktionschefs gehen. Mit den Sozialdemokraten ist ein Treffen am 15. Juli vorgesehen. Das wäre am Tag vor dem angekündigten Wahltermin. Dieser soll erst nächsten Donnerstag endgültig festgezurrt werden.
Die Kandidatin hat öffentlich noch keine konkreten europapolitischen Pläne benannt, sondern will nach eigenem Bekunden zunächst zuhören. Vor ihrer Wahl will sie ihre Vision jedoch darlegen. Am Freitag zeigte sie auf Twitter ein Foto von ihrem Übergangsbüro. "Noch ist mein neuer Schreibtisch als nominierte Kandidatin in Brüssel leer, aber das Telefon funktioniert auf jeden Fall", schrieb sie und dankte für "lebhafte Gespräche, viele spannende Fragen, viel Zuspruch". Vorerst übt sie aber auch noch ihr Amt als Verteidigungsministerin aus, wie ein Ministeriumssprecher in Berlin betonte./vsr/DP/fba
AXC0182 2019-07-05/17:43