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LONDON (dpa-AFX) - Der neue britische Premierminister Boris Johnson hat zum Amtsantritt den Brexit-Gegnern den Kampf angesagt. Direkt nach seiner Ernennung durch Königin Elizabeth II. sagte er am Mittwoch vor dem Regierungssitz in der Downing Street: "Die Zweifler, Schwarzmaler und Pessimisten werden wieder falsch liegen."
Nach drei Jahren "unbegründeter Selbstzweifel" sei es Zeit für einen Wechsel. "Ich sage: Unterschätzt dieses Land nicht!", sagte Johnson.
Er sei überzeugt, dass ein geregelter EU-Austritt zum 31. Oktober machbar sei. Er werde sich aber auch auf einen No Deal vorbereiten, betonte Johnson. Seine Regierung werde "einen neuen Deal, einen besseren Deal" erlangen. Brüssel lehnt Nachverhandlungen jedoch ab.
Johnson war zuvor von Königin Elizabeth II. zum Regierungschef ernannt worden. Der Tory-Chef tritt damit die Nachfolge von Theresa May an, die zuvor ihren Rücktritt bei der Queen eingereicht hatte.
Bei der Anfahrt Johnsons zum Palast war es zu einem Zwischenfall gekommen. Klima-Demonstranten von Greenpeace versperrten kurzzeitig die Straße. Die Polizei machte den Weg aber schnell wieder frei.
Bundeskanzlerin Merkel wünschte Johnson "eine glückliche Hand und viel Erfolg zum Wohl" Großbritanniens. EU-Ratspräsident Donald Tusk gratulierte dem Brexit-Hardliner im Namen des Europäischen Rates zur Ernennung. "Ich freue mich darauf, unsere Zusammenarbeit bei einem Treffen detailliert zu besprechen", teilte er mit.
Johnson hatte in seiner Rede erneut den Backstop strikt zurückgewiesen. Diese Garantieklausel soll verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren.
Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleibt, bis das Problem anderweitig gelöst ist. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten.
Johnson sieht in der Klausel aber ein "Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. Er will den Backstop streichen und die irische Grenzfrage erst nach dem Austritt in einem künftigen Freihandelsabkommen mit der EU lösen.
May hatte sich vor ihrem Treffen mit der Queen nach dreijähriger Amtszeit in einer kurzen Rede in der Downing Street von den Briten verabschiedet. Dabei dankte die 62-Jährige besonders Ehemann Philip, der ihr stets beigestanden habe.
Im Parlament sagte May beim letzten Auftritt als Regierungschefin: "Ich bin sicher, dass unter den Frauen in diesem Haus heute eine künftige Premierministerin ist, vielleicht mehr als eine." Bislang hatte Großbritannien nur zwei Premierministerinnen - May und Margaret Thatcher. Die Abgeordneten applaudierten ihr lange im Stehen.
Mehrere Minister traten zurück, darunter Philip Hammond (Finanzen), David Gauke (Justiz) und Rory Stewart (Entwicklungshilfe). Damit sind sie einem Rauswurf durch Johnson wohl zuvorgekommen. Auch Vize-Premierminister David Lidington gab sein Amt auf.
Johnson plant Medienberichten zufolge eine größere Umbildung des Kabinetts, dem viele Brexit-Hardliner angehören sollen. Es wurde erwartet, dass Johnson die Namen zumindest einiger der neuen Kabinettsmitglieder noch am Mittwoch verkündet.
Nach einem Bericht der "Times" wird Ex-Entwicklungsministerin Priti Patel eine Schlüsselposition übernehmen: Sie soll Innenministerin werden. Patel war im November 2017 zurückgetreten, nachdem bekannt geworden war, dass sie sich ohne Absprache im Israel-Urlaub mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu getroffen hatte. Die 47-Jährige ist eine große Brexit-Anhängerin und zählt zum rechten Tory-Flügel.
Drei Mal war May im heillos zerstrittenen Parlament mit ihrem mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Abkommen durchgefallen - schließlich gab sie auf. Fraglich ist aber, wie lange ihr Nachfolger Johnson durchhält. Auch er kann nur mit einer hauchdünnen Mehrheit regieren.
Der Brexit ist aber nicht die einzige Großbaustelle, um die sich Johnson kümmern muss. Er tritt sein Amt mitten in einer Krise mit dem Iran an. Nach mehreren Vorfällen in der Straße von Hormus setzte Teheran dort zuletzt einen britischen Öltanker fest - aus Sicht Londons eine "feindliche Handlung". Großbritannien regte eine europäische Seeschutzmission an, um Schiffe in der Meerenge zu schützen. Große Mengen Öl werden durch dieses Nadelöhr verschifft.
Die Mitglieder der Konservativen Partei hatten Johnson zu ihrem Chef und damit auch zum künftigen Premier gewählt. Am Freitag beginnt die Sommerpause des Parlaments - bis zum 3. September. Viel Zeit bis zum geplanten EU-Austritt Ende Oktober bleibt Johnson nicht. Dennoch will er bis dahin sein Land aus der EU führen - mit oder ohne Deal.
Angesichts der Brexit-Unsicherheit ist der deutsch-britische Handel seit Jahresbeginn deutlich zurückgegangen. Nach Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) exportierten deutsche Unternehmen von Januar bis Mai Waren im Wert von rund 35 Milliarden Euro nach Großbritannien. Das sind 2,3 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Importe aus Großbritannien sanken im selben Zeitraum noch stärker: um 6,1 Prozent auf 15 Milliarden Euro. Der Brexit sei bereits eine große Belastung für die deutsche Wirtschaft, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. 70 Prozent der Betriebe mit Geschäft in Großbritannien erwarteten 2019 schlechtere Zahlen./si/DP/zb
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