BERLIN (Dow Jones)--Die deutsche Windenergie an Land hat trotz guter Prognosen ein historisch niedriges Wachstum verzeichnet. Im ersten Halbjahr wurden nur 287 Megawatt oder 86 Anlagen neu gebaut, teilten der Bundesverband Windenergie (BWE) und der Verband Deutscher Anlagen- und Maschinenbauer (VDMA) in Berlin unter Berufung auf eine Erhebung der Deutschen WindGuard mit. Dies entspricht einem Rückgang um 82 Prozent im Vergleich zum bereits schwachen Vorjahreszeitraum. Berücksichtigt man den Rückbau von Windenergieanlagen, sind es netto sogar nur 231 Megawatt oder 35 Anlagen mehr. Damit habe der Zubau den niedrigsten Stand seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 erreicht. Zum Vergleich: In den Jahren 2014 bis 2017 lag der jährliche Zubau bei durchschnittlich 4.600 Megawatt.
Hauptproblem: Klagen von Naturschützern
Auch für das Gesamtjahr 2019 korrigierten BWE und VDMA ihre Prognose nach unten. Sie gehen nur noch von einem Zubauvolumen von rund 1.500 Megawatt aus. Als Ursache für die Entwicklung nennen die Verbände vor allem politische, behördliche und juristische Gründe.
"Die Energiewende scheitert nicht an den Kosten, sondern wird durch unzureichende Flächenbereitstellung in den Ländern, fehlende Genehmigungen und Klagen sowie Widerspruchsverfahren gegen bereits erteilte Genehmigungen aufgehalten", erklärte BWE-Präsident Hermann Albers. Insgesamt 11.000 Megawatt Windprojekte würden in Genehmigungsverfahren feststecken.
Laut einer Analyse der Fachagentur Wind an Land ist der Natur- und Artenschutz der Hauptgrund, warum Bürger gegen geplante Anlagen klagen. Auch militärische Belange und UKW-Drehfunkfeuer würden oft Genehmigungen verhindern.
Die Bundesregierung will den Erneuerbaren-Anteil an der Stromversorgung bis 2030 auf 65 Prozent erhöhen. 2050 soll Deutschland klimaneutral werden. Nötig dafür wäre ein jährlicher Windenergie-Zubau von 4.700 Megawatt, hat der Bundesverband Erneuerbare Energie berechnet. BWE-Präsident Albers forderte daher, "die politischen Rahmenbedingungen im Bund sowie in einzelnen Ländern" zu ändern. Zudem fallen 2021 Bestandsanlagen aus der Förderung des EEG.
Appell an Merkel für einen Windenergie-Gipfel
Die Verbände appellierten an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), den Trend umzukehren. "Wir schließen uns deshalb der Bitte an die Kanzlerin an, einen Windenergie-Gipfel zu organisieren, um neue Impulse zu setzen und wieder das Schrittmaß der industriellen Entwicklung zu bestimmen", erklärte Matthias Zelinger, Geschäftsführer VDMA Power Systems.
Grüne und Linke gaben der Großen Koalition die Schuld für die Entwicklung. Die Zahlen seien "ein Zeugnis für das Totalversagen der Bundesregierung bei der Energiewende", so der klima- und energiepolitische Fraktionssprecher Lorenz Gösta Beutin. Die Grünen-Fraktionssprecherin für Energiepolitik, Julia Verlinden, kritisierte, dass die Regierung "beim Ausbau der Windenergie und der Erneuerbaren Energien seit Jahren massiv Sand ins Getriebe streut und damit nicht nur den Klimaschutz boykottiert, sondern allein beim Wind zehntausende Arbeitsplätze und eine wirtschaftliche Zukunftsbranche aufs Spiel setzt."
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July 25, 2019 07:21 ET (11:21 GMT)
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