Die überraschend starke Zinssenkung der türkischen Notenbank kurz nach einem Wechsel an der Führungsspitze der Zentralbank wird von Analysten kritisch gesehen. "Das Risiko ist erheblich, denn Zinssenkungen ( ) können mittelfristig einen bösen Boomerang-Effekt haben", schrieb Analystin Antje Praefcke von der Commerzbank in einem am Freitag veröffentlichen Marktkommentar. Sollte die Inflation in der Türkei im weiteren Verlauf des Jahres steigen, könnte die türkische Währung abwerten. Dies würde die ohnehin schon vergleichsweise starke Teuerung zusätzlich ankurbeln.
Ganz ähnlich äußerte sich Analyst Sebastien Galy von Nordea Investment Funds. Zwar müsse die Notenbank in Ankara ihre Geldpolitik lockern, um die türkische Konjunktur zu stützen, sagte er. Allerdings dürfen die Währungshüter nicht zu schnell vorgehen. Das könnte die Lira schwächen und die Inflation über teurere Importe verstärken.
Am Donnerstag hatte die türkische Notenbank den Leitzins in einem ungewöhnlich starken Schritt um 4,25 Prozentpunkte auf 19,75 Prozent gesenkt. Es war die erste Zinssenkung seit 2015 und erfolgte kurz nach einem Wechsel an der Spitze der Notenbank. Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hatte Murat Cetinkaya Anfang Juli gefeuert und durch den neuen Zentralbankchef Murat Uysal ersetzt, der erstmals eine Zinssitzung geleitet hat. In der Vergangenheit hatte Erdogan die Notenbank trotz einer hohen Inflation immer wieder zu Zinssenkung aufgefordert. Erdogan glaubt - entgegen jeder Lehrbuchmeinung - dass Zinssenkungen die Inflation bekämpfen.
Trotz der starken Zinssenkung konnte der Kurs der Lira zur Überraschung vieler Marktbeobachter zulegen. Der Devisenmarkt reagierte entspannt auf den Zinsschritt in der Türkei. "Der Markt geht großzügig mit der Lira um", sagte Analyst Manuel Andersch von der BayernLB. Die Kursentwicklung der vergangenen Monate zeige aber, dass die entspannte Phase auch wieder schnell zu Ende gehen kann.
Wie stark ein Kurseinbruch der türkischen Währung ausfallen kann, zeigte sich im August 2018 als die Lira in kurzer Zeit massiv an Wert verloren hatte. Experte Andersch wollte nicht ausschließen, dass die Notenbank am Donnerstag mit Interventionen am Devisenmarkt einen Kurseinbruch der Lira verhindert habe. Er hielt dies aber für wenig wahrscheinlich und verwies auf die vergleichsweise geringen Devisenreserven des Landes.
Analyst Gökce Celik von der Bank Unicredit erklärte die Kursgewinne der Lira mit einer derzeit allgemein starken Nachfrage nach Anlagemöglichkeiten in Schwellenländern, weil die führenden Notenbanken auf Zinssenkungen zusteuern würden. Vor diesem Hintergrund könnte die türkischen Notenbanker bei ihren Zinssenkungen zu weit gehen und damit das Risiko eines erneuten schweren Kurseinbruchs verstärken.
Nur einen Tag nach der unerwartet starken Zinssenkung hat Präsident Erdogan umgehend weitere Zinssenkungen von der Notenbank gefordert. Es seien fortschreitende Senkungen für die Türkei notwendig, sagte Erdogan am Freitag in Ankara./jkr/jsl/jha/
AXC0121 2019-07-26/12:08