Von Manuel Priego Thimmel
FRANKFURT (Dow Jones)--Mit einer gewissen Ernüchterung ist die geldpolitische Entscheidung der EZB an den Börsen zur Kenntnis genommen worden. Die Senkung des Einlagessatzes, auf die einige Investoren gehofft hatten, blieb aus. Zwar wird die EZB aller Voraussicht nach im September aktiv werden, die Enttäuschung überwog aber. In einer ähnlichen Lage befindet sich die US-Notenbank, die am Mittwoch ihre geldpolitische Entscheidung treffen wird. Im Konsens wird eine Zinssenkung um 25 Basispunkte erwartet, einige Marktteilnehmer setzen aber auf 50 Basispunkte. Das eröffnet Enttäuschungspotenzial, zumindest kurzfristig.
Anders als die Eurozone braucht die US-Wirtschaft eigentlich keine Zinssenkungen. Das dürften auch die in der kommenden Woche anstehenden US-Wirtschaftsdaten - veröffentlicht werden der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe sowie der Arbeitsmarktbericht - unterstreichen. Beide Datenreihen dürften keine rezessiven Risiken andeuten. Warum wird dennoch eine Zinssenkung erwartet? Kritiker glauben, dass die US-Notenbanker wegen der verbalen Attacken von US-Präsident Donald Trump eingeknickt sind. Trump kann sich eine Abschwächung der US-Wirtschaft wegen des Handelskonflikts mit China sowie den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr nicht leisten.
Fed-Zinssenkung als Versicherungspolice
Volkswirte sprechen hingegen von einer Art Versicherung gegen eine mögliche Abschwächung der US-Wirtschaft. Wie die Commerzbank ausführt, gewinne das Versicherungsargument dadurch an Gewicht, dass die US-Notenbank viel weniger Spielraum als früher besitze, eine Rezession mit massiven Zinssenkungen zu bekämpfen. Da der Leitzinskorridor nur bei 2,25 bis 2,50 Prozent liege, würde man in einer Rezession schnell an die Nulllinie stoßen. Umso wichtiger sei es nun, monetäre Impulse rasch und frühzeitig zu setzen. Hinzu komme, dass die Fed in den vergangenen Jahren den Preisdruck immer wieder überschätzt habe - das spricht für niedrigere Zinsen.
Sollte die US-Notenbank den Leitzins in der kommenden Woche nur um 25 Basispunkte senken, dürfte dies zwar die Börsen belasten und den Dollar nach oben drücken. Dieser negative Effekt sollte sich aber als kurzfristig erweisen, ist der taubenhafte Richtungswechsel der Notenbanken doch fest vorgezeichnet. Die EZB wird voraussichtlich im September ein großes Lockerungspaket vorstellen, das möglicherweise auch die Wiederaufnahme von Wertpapierkäufen beinhaltet. Und mit Blick auf die Fed bleibt festzuhalten, dass der Zinssenkung in der kommenden Woche aller Wahrscheinlichkeit weitere folgen werden.
Wie stark die Finanzmärkte von der Öffnung der Liquiditätsschleusen profitiert haben, unterstreichen einige Zahlen: So haben sich laut Commerzbank seit der "Whatever-it-takes"-Rede von EZB-Präsident Mario Draghi Mitte 2012, in der Draghi das Überleben der Eurozone garantierte, die DAX-Gewinnerwartungen lediglich um 8 Prozent erhöht, mit den Kursen ging es aber um 60 Prozent nach oben. Die Anleger sind also dank der lockeren Geldpolitik bereit, für den gleichen Gewinn mehr zu zahlen als in der Vergangenheit. Das zeigt sich an der Ausweitung der Bewertungsmultiples; das Kurs-Gewinn-Verhältnis im DAX ist seit 2012 auf 13 von 8 gestiegen.
Negativzinsen spielen Aktienmärkten in die Hände
Angesichts von 10-jährigen Bundesanleihen, die bei fast minus 0,40 Prozent rentieren und einer DAX-Dividendenrendite, die mit 3,4 Prozent noch immer klar im positiven Bereich liegt, gibt es per se keinen Grund, warum sich dieser Trend nicht fortsetzen sollte. Voraussetzung ist aber, dass es den Zentralbanken durch ihren geldpolitischen Schwenk gelingt, ein Abrutschen in die Rezession zu verhindern. Hier gehen die Meinungen von Beobachtern auseinander. Fakt ist, dass sich das verarbeitende Gewerbe in Europa bereits seit geraumer Zeit in der Rezession befindet, während sich die Lage in den USA bislang günstiger darstellt.
Aber selbst ohne Rezession erscheint das Aufwärtspotenzial an den Börsen aktuell begrenzt, zumindest solange, bis sich das wirtschaftliche Umfeld wieder aufhellt. Das kann aber noch eine Weile dauern. Die aktuelle Berichtssaison ist bislang jedenfalls geprägt von zahlreichen Gewinnwarnungen, vor allem von Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe, die unter dem von Präsident Trump entfachten Handelskonflikt leiden. Die Commerzbank rechnet für die kommenden Monate mit einem Seitwärtstrend im DAX zwischen 11.800 und 13.000 Punkten - eine Meinung, der man sich anschließen kann.
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July 26, 2019 05:53 ET (09:53 GMT)
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