Von Petra Sorge
BERLIN (Dow Jones)--In der Debatte um eine klimabezogenen Bepreisung von Heizöl und Kraftstoffen haben Wissenschaftler zur Eile gemahnt. Die Einführung einer CO2-Steuer in den Sektoren Wärme und Verkehr sei deutlich schneller zu erreichen als eine Ausweitung des Handels von Emissionszertifikaten, heißt es in einer Analyse des Öko-Instituts im Auftrag der Denkfabrik Agora Energiewende, über die der Tagesspiegel zuerst berichtete.
Eine Einbeziehung beider Sektoren in das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (EU-ETS) oder der Aufbau eines nationalen CO2-Handels wären dagegen "sehr komplex und daher langwierig". Frühestens 2023 ließe sich auf diesem Weg der CO2-Ausstoß des Verkehrs und des Gebäudewärmesektors reduzieren.
Die Einführung eines deutschen Emissionshandelssystems würde selbst im einfachsten Fall zwei bis drei Jahre brauchen, erklärt der Direktor von Agora Energiewende, Patrick Graichen. "Ein Konzept, das kompatibel zum bestehenden europäischen Emissionshandel EU-ETS ist, benötigt mindestens drei bis vier Jahre." Damit sei Emissionshandel im Wärme- und Verkehrssektor "als kurzfristige Klimaschutzmaßnahme bis 2020 unbrauchbar".
Zudem würde die Bundestagswahl im September 2021 das Gesetzesvorhaben weiter verzögern. Viel einfacher sei es, das bestehende Energiesteuersystem so zu ändern, dass CO2-Emissionen im Wärme- und Verkehrssektor einen Preis bekommen. "Das kann man in drei Monaten schaffen, wie die Ökosteuerreform 1999 gezeigt hat", so Graichen.
Neue Aufgaben für Tausende Unternehmen
Die langen Umsetzungszeiträume eines ETS für Wärme und Verkehr ergeben sich aus einer Reihe von Faktoren. So müssen zum einen in vielen Bereichen neue Regelungen gesetzlich und untergesetzlich geschaffen werden. Will Deutschland etwa seine Sektoren Verkehr und Wärme im Alleingang in den EU-Emissionshandel einbeziehen, so müssten unter anderem relevante EU-Regelungen geändert werden - umfangreiche Verhandlungen mit der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten wären die Folge. Diese Option würde deshalb sogar mit fünf Jahren veranschlagt werden.
Um zu ermitteln, wie viele Zertifikate jährlich ausgestellt und auktioniert werden können, muss zunächst der Bedarf bei den ETS-Verpflichteten ermittelt werden. Die Ausgabe der Zertifikate würde dann über eine Auktionsplattform erfolgen, deren Einrichtung europaweit ausgeschrieben werden müsste. Auch das würde zwölf Monate dauern.
Auf Tausende von Unternehmen kämen ebenfalls neue Aufgaben zu. Sie müssten ein Überwachungs- und Abrechnungsregime für ihre CO2-Emissionen einrichten. Wie schon 2005 bei der Einführung des EU-ETS, ist auch hier mit einer Klagewelle der Betroffenen zu rechnen, heißt es in der 62-seitigen Analyse. Zudem müssten eine Doppelregulierung mit dem bestehenden Emissionshandelssystem der EU durch aufwändige Regelungen vermieden und eine Lösung für die bisher nicht vom EU-ETS erfassten Teile der Industrie gefunden werden.
CO2-Preismodelle in der Koalition umstritten
Der Weg zu einer CO2-Bepreisung ist derzeit in der Bundesregierung umstritten. Die Union bevorzugt den Emissionshandel, die SPD setzt auf eine CO2-Steuer. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der Bundesverband der Deutschen Industrie und zahlreiche Wirtschaftsverbände setzen ebenfalls auf die Zertifikatelösung. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung, die sogenannten Wirtschaftsweisen, hatten beide Lösungen als möglich bezeichnet. Am 20. September kommt das Klimakabinett zu seiner nächsten Sitzung zusammen.
Sollte sich die Bundesregierung dennoch für ein Emissionshandelssystem entscheiden, empfehlen die Wissenschaftler von Agora Energiewende, wenigstens in der Übergangsphase auf eine CO2-Steuer zu setzen. Für die Analyse hat das Öko-Institut die mehr als 15 Jahre mit dem EU-ETS und eine Reihe internationaler Erfahrungen ausgewertet.
Link zur Analyse: https://www.agora-energiewende.de/presse/neuigkeiten-archiv/emissionshandel-fuer-waerme-und-verkehr-wuerde-co2-ausstoss-erst-in-einigen-jahren-senken/
Kontakt zur Autorin: petra.sorge@wsj.com
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August 20, 2019 07:51 ET (11:51 GMT)
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