Anleihenkäufe als Mittel der Geldpolitik hält der ehemalige Bundesbank-Präsident Helmut Schlesinger für bedenklich. "Es ist schwierig, eine Grenze zu ziehen zwischen dem Kauf von Staatspapieren als geldpolitisches Instrument und Staatsfinanzierung", sagte Schlesinger, der am 4. September 95 Jahre alt wird, der Deutschen Presse-Agentur. "Entscheidend ist, ob Ausmaß und Dauer zulässig sind. Die Frage ist, ob man das so dauerhaft und in diesem Ausmaß machen sollte, wie das geschehen ist, so dass ein Drittel der öffentlichen Schulden in der Hand der Notenbank ist."
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in den vergangenen Jahren in großem Stil Anleihen von Eurostaaten sowie Unternehmenspapiere gekauft. Bis Ende 2018 steckte die Notenbank rund 2,6 Billionen Euro in solche Wertpapiere. Seither fließen keine frischen Gelder mehr dafür. Allerdings prüft die EZB gerade die Möglichkeit neuer Anleihenkäufe.
"Die Lage für die EZB heute ist viel komplizierter als für die Bundesbank damals", räumte Schlesinger ein, der die Bundesbank von August 1991 bis Ende September 1993 führte. "Die EZB hat es mit 19 Nationalwirtschaften zu tun, die alle ihre eigenen Probleme haben. Was für Italien gut sein mag, ist nicht unbedingt gut für Deutschland. Die Geldpolitik muss daher die richtige Mischung finden."
Schlesinger bilanzierte: "Die Vorstellung, dass eine gemeinsame Geldpolitik die Unterschiede abbauen würde, hat sich nur bis zu einem gewissen Grad erfüllt. Es sind immer noch wesentliche Unterschiede bestehen geblieben - insbesondere auf dem Gebiet der öffentlichen Finanzen, der Verschuldung der Euroländer und der Stabilität der Banken."
Institutionen zur Förderung der Zusammenarbeit in Europa gebe es genügend, sagte der Jubilar. "Die Frage ist, inwiefern die Politik bereit ist, gewisse Nachteile im Inland in Kauf zu nehmen für das große Ganze. Dazu braucht es Vertrauen untereinander, und das ist nicht leicht zu erreichen."
Bedauern äußerte der gebürtige Oberbayer, der seit 1962 im hessischen Oberursel lebt, dass der amtierende Bundesbank-Präsident Jens Weidmann im Herbst nicht Nachfolger von EZB-Chef Mario Draghi wird. "Ich hätte mir gewünscht, dass Jens Weidmann EZB-Präsident wird. Als Außenstehender habe ich aber nicht feststellen können, dass eine mögliche Bewerbung ausreichend durch Bundesregierung unterstützt worden wäre", sagte Schlesinger./ben/mar/DP/zb
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