FRANKFURT (Dow Jones)--Deutlich entspannter als sonst dürften Anleger in die kommende Woche gehen. Denn selten genug lösen sich gleich drei große Risikofaktoren binnen einer Woche in Luft auf oder werden zumindest deutlich kleiner. Von Italien über den Brexit bis hin zum US-China-Konflikt stehen die Zeichen auf Deeskalation. Die von Anlegern befürchteten Worst-Case-Szenarien dürften nicht eintreten.
Kurzfristig räumen Charttechniker dem DAX Luft bis 12.400 Punkte ein, mittelfristig könnte es aber noch weitergehen. Die "Risk On"-Reaktion ist dabei global: Aus den sicheren Häfen langlaufender Staatsanleihen zieht man sich zurück und auch der Yen ist zum Dollar nicht mehr so attraktiv. Das Geld fließt in die unterbewerteten Aktien zurück.
Entspannung allerorten - China, Brexit, Italien
Selbst der alte Kontinent konnte diesmal mit Italien positiv überraschen, wo bei der neuen Regierung nicht mit einem Konfrontationskurs mit der EU gerechnet werden muss. Beim Brexit entspannte das britische Parlament die Lage und verhinderte die gefürchtete harte Variante. Den Plänen von Premierminister Boris Johnson wurde gleich eine doppelte Absage erteilt. Die Aussicht auf einen abrupten Austritt aus der EU am 31. Oktober ist damit fast völlig vom Tisch, ebenso die auf Neuwahlen noch vor diesem Termin. Bei den noch anstehenden Abstimmungen wird keine Mehrheit für Johnson erwartet.
Globale Tragweite hat aber vor allem die Erleichterung über die Wiederannäherung bei den US-chinesischen Handelsgespächen. Entsprechend könnte sich nun eine wochenlange Erholung bei den zuletzt stark gedrückten zyklischen Konjunkturaktien anbahnen. Anstoß zur Rally gab ein Telefonat von Vizepremier Liu He mit dem US-Handelsbeauftragten Lighthizer und Finanzminister Mnuchin, um ein hochrangiges Treffen Anfang Oktober zu verabreden. Die Hoffnung auf einen Durchbruch ist damit zurück.
Trump muss vorsichtiger werden
Diese Entspannung passt ins Bild der Bullen, die darauf bauen, dass US-Präsident Donald Trump langsam wieder von seinen Beratern an die Kandare genommen wird. Damit sinkt auch das "Event-Risiko" willkürlicher Wutausbrüche per Twitter. Schließlich müsse der Präsident seine Wiederwahl planen und weitere Zollerhöhungen würden den US-Verbraucher ab jetzt direkt treffen, was Wähler vergraulen würde.
Die Chance auf weitere Kursgewinne steigt damit, da viele Anleger wegen genau dieser Risiken stark unterinvestiert waren. Ihre Skepsis spiegelt sich noch in den jüngsten Sentiment-Umfragen wider. Laut der AAII-Umfrage unter US-Investoren dominiert dort noch der Bär: Das Bullen-Lager an Wall Street verbesserte sich in der abgelaufenen Woche auf dürftige 28,6 Prozent aller Anleger. Dieser Wert ist weit entfernt vom historischen Mittelwert in den USA von 38,0 Prozent. Ein ähnliches Bild konstatiert Analyst Joachim Goldberg für Deutschland: Der bisherige Anstieg im DAX sei "ohne Zutun der hiesigen Anleger" erfolgt. Dies bringe deutsche Aktien in eine komfortable Lage. Denn noch seien 41 Prozent der Privatanleger Bären.
"Entspannung" macht noch keine Gewinne - Rezession kommt
Bei aller Freude über die "Entspannung bei Risiken" - Geld verdient wird damit nicht. Das Vermeiden einer Eskalation zwischen den USA und China sorgt nicht für eine Steigerung der Unternehmensgewinne. Die bisherigen Zölle bleiben schließlich weiter in Kraft. Und auch darüber hinaus sieht es schlecht aus: Denn "die Rezession ist da", sagt Marktstratege Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank. In der Industrie sei dies offensichtlich, und diese laufe der Gesamtwirtschaft üblicherweise voraus. Auch Chef-Ökonom Chetan Ahya von Morgan Stanley sieht die Welt dichter an eine globale Rezession rutschen.
Die schwachen deutschen Daten zur Industrieproduktion und vor allem die Auftragseingänge untermauern dieses Bild: Die Aufträge brachen um 2,7 Prozent ein und damit fast doppelt so stark wie von Ökonomen erwartet. Nach Ansicht von Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe, erhöhen sie die Rezessionswahrscheinlichkeit für die deutsche Wirtschaft erheblich. Aktienstratege Manfred Bucher von der Bayern LB hält daher die aktuellen Konsensschätzungen der Unternehmensgewinne für noch immer zu hoch. Er rechnet daher mit weiteren Abwärtsrevisionen bei den Gewinnprognosen für 2020.
Für Käufe zu früh - EZB stützt alle außer Privatanleger
Anleger in Aktien fassen ein heißes Eisen daher vielleicht zu früh an: Denn in einer Untersuchung der besten Zeitpunkte für den Aktienkauf im marktbreiten Stoxx-600-Index rund um eine Rezession stellte Stratege de la Rubia fest, dass es aktuell noch zu früh für Käufe sein könnte. Es drohe eine Minus-Performance auf Jahressicht: "Finger weg, wenn die Rezession beginnt. Einsteigen, wenn die Rezession endet", lautet daher sein Ratschlag für Anleger. Erst rund um das erste Quartal 2020 rechnet er mit einem guten Einstiegszeitpunkt in Aktien.
Nach unten sei der Aktienmarkt aber ebenso recht gut abgesichert, so Uwe Streich von der Landesbank Baden Württemberg. Eigentlich sei der DAX angesichts einer weiterhin fallenden Erwartungskomponente im Ifo-Konjunkturindikator noch zu teuer. Aber der Anlagenotstand bei institutionellen Kapitalsammelstellen durch immer weiter sinkende Bond-Renditen mache Aktien "alternativlos".
Die Augen aller Marktteilnehmer sind kommende Woche daher klar auf den Donnerstag gerichtet: Von der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) werden dann deutliche geldpolitische Signale erwartet. Im Schnitt werden neue QE-Maßnahmen im Bereich von 15 bis 30 Milliarden Euro erwartet sowie eine Senkung des Einlagesatzes um 0,20 Prozentpunkte auf minus 0,60 Prozent. Nur für Sparer sind das Hiobsbotschaften. Auch wenn sich Bundesfinanzminister Scholz hier noch ziert, könnten Banken damit beginnen, die Lasten in Form von Gebühren auch auf die Privatkundschaft abzuwälzen.
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September 06, 2019 05:10 ET (09:10 GMT)
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