Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise und Mario Draghi haben eine Gemeinsamkeit: Die Unendlichkeit. So wie Kirk unendlich ans Ende des Universums reist, so scheint jetzt auch Draghi kurz vor seinem Amtsende eine unendlich lockere Geldpolitik anzustreben. Nur neun Monate, nachdem Draghi das Ende von Zinssenkungen und Anleiheaufkäufen versprach, vollzieht die EZB jetzt eine 180 Grad-Wende. Zur konjunkturellen und Schulden-Rettung der Eurozone feuert Draghi die "Dicke Berta" ab. Damit tritt die EZB in das zum Zweck der Währungsschwäche betriebene Lockerungs-Konzert anderer großer Notenbanken ein.
Zum Abschied gibt Draghi noch mal alles
Auf der Pressekonferenz nach der letzten EZB-Sitzung betonte Notenbankpräsident Draghi die zunehmenden Rezessionsrisiken für die Euro-Wirtschaft, die aus den Handelskonflikten und der Gefahr eines No Deal-Brexit herrühren. Zwar zeigt sich der Dienstleistungssektor (noch) widerstandfähig. Umso deutlicher befindet sich jedoch das Verarbeitende Gewerbe der Eurozone auf Schrumpfungs-Kurs, insbesondere bei frühzyklischen Investitionsgütern. Konsequenterweise verringert die EZB ihre Wachstumsprojektionen: 2019 1,1 statt 1,2 Prozent, 2020 1,2 statt 1,4 Prozent und 2021 unverändert 1,4 Prozent.
Auch die Desinflationsbekämpfung verläuft weiter enttäuschend, so dass die EZB ihre Inflationsprojektionen senkt: 2019 1,2 statt 1,3 Prozent, 2020 1,0 statt 1,4 Prozent und 2021 1,5 statt 1,6 Prozent. Damit macht die Notenbank unmissverständlich klar, dass sie ihr Inflationsziel von zwei Prozent langfristig für nicht erreichbar hält. Diese Einschätzung bestätigen auch die Finanzmärkte mit ihren abwärts gerichteten Inflationserwartungen, die Folge der weltkonjunkturbedingten Preiseinbrüche bei Rohöl und Industriemetallen sind.
Angesichts der robusten Inflationsschwäche verzichtet die EZB auf eine zeitliche Vorabfestlegung für mögliche Zinserhöhungen, für die sie bislang die zweite Jahreshälfte 2020 angepeilt hatte.
Stattdessen sollen die Leitzinsen auf ihrem gegenwärtigen Niveau oder sogar noch niedriger ausfallen, bis sich die Inflation robust und konsequent beim Zwei-Prozent-Ziel stabilisiert. Angesichts der verhaltenen Inflationsprojektionen kann dies frühestens 2022 der Fall sein. Und da die EZB mit robust meint, auch ein kurzfristiges Überschießen der Inflation zuzulassen, verschiebt sich der Zeitraum noch weiter nach hinten.
Money can't buy me (economic) love, but…
Die EZB verkennt, dass die niedrigen Zinsen kaum Hebelwirkung auf die reale Wirtschaft haben. So sind trotz mehrjähriger Null-Leitzinsen Frühindikatoren wie die wegweisenden ifo Geschäftserwartungen sogar gefallen. Was zum konjunkturellen Knotenplatzen fehlt, ist das wirtschaftspolitische Gegenstück zur Geldpolitik. Leider sind die Rahmenbedingungen der europäischen Standorte nicht ausreichend positiv, um befriedigende Unternehmensinvestitionen auszulösen. Immerhin wirkt die EZB zinspolitisch - auch wenn sie es nie zugeben würde - einer konjunkturschwächenden Euro-Aufwertung entgegen, nachdem die US-Notenbank und die People's Bank of China ihren Exportwirtschaften mit Währungs-Dumping bereits auf die Sprünge helfen. Und nach Bekanntgabe der zinspolitischen Maßnahmen der EZB hat der US-Präsident via Tweet der Fed in seiner unnachahmlichen Art erneut nahegelegt, es der EZB mit Ultraniedrigzinsen gleichzutun.
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