Der britische Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker treffen sich am Montag zu einem Arbeitsessen in Luxemburg. Dabei werde es um den für Ende Oktober geplanten Brexit gehen, sagte eine Sprecherin Junckers am Freitag in Brüssel. Johnson und Juncker wollten sich "auf neutralem Boden" treffen. Den genauen Ort wollte sie nicht mitteilen. Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel lud für Montagnachmittag zu einer Pressekonferenz mit Johnson in seinen Amtssitz ein. Juncker soll nicht daran teilnehmen.
Wer um das Treffen gebeten habe, wollte die Sprecherin nicht sagen. "Es war eine Bereitschaft von beiden Seiten, sich am Montag zu treffen." Auf die Frage, ob das Treffen bedeute, dass es Bewegung bei den Gesprächen über die Modalitäten des EU-Austritts gebe, sagte die Sprecherin: "Ich habe dazu nichts Neues zu berichten."
Die Londoner "Times" hatte am Freitag unter Berufung auf Parteikreise berichtet, die nordirisch-protestantische DUP habe ihren Widerstand gegen eine mögliche Lösung im Brexit-Streit teilweise aufgegeben. Der Bericht wurde jedoch umgehend von der DUP dementiert. Knackpunkt ist die Frage, wie Grenzkontrollen zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können. Dort wird sonst ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen mehrheitlich katholischen Befürwortern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands und mehrheitlich protestantischen Loyalisten befürchtet.
Irlands Regierungschef Leo Varadkar sagte dem irischen Rundfunksender RTÉ am Freitag, die Verhandlungsteams beider Seiten seien in Kontakt. "Wir loten aus, was möglich ist", so Varadkar. Die zu überwindende Kluft sei aber noch "sehr weit". Johnson zeigte sich bei einem Auftritt in Nordengland "vorsichtig optimistisch", dass noch ein Deal möglich sei.
Johnson lehnt die im bisherigen Austrittsabkommen vereinbarte Garantieklausel für eine offene Grenze (Backstop) kategorisch ab. Sie sieht vor, dass ganz Großbritannien solange einen gemeinsamen Außenzoll mit der EU gegenüber Drittstaaten beibehalten soll, bis eine andere Lösung gefunden ist. Dadurch wären jedoch bilaterale Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und Drittländern wie den USA zunächst unmöglich. Unter anderem deshalb war das Abkommen drei Mal im britischen Unterhaus abgelehnt worden.
Das Versprechen einer erheblichen Erhöhung des Handelsvolumens mit Staaten wie den USA, China oder Indien nach dem EU-Austritt gehört zum zentralen Mantra der Brexit-Hardliner. Das, obwohl die Mehrzahl der Experten davon ausgeht, dass die erwarteten Vorteile bei Weitem von den Nachteilen des EU-Austritts aufgewogen werden.
Der Ausweg im Brexit-Streit, so die Spekulationen, könnte sein, dass nur das verhältnismäßig kleine Nordirland eng an EU-Regeln gebunden bliebe. Dadurch wären jedoch Kontrollen für Waren notwendig, die aus Großbritannien nach Nordirland kommen. Das lehnte die DUP bislang strikt ab, von deren Stimmen die Minderheitsregierung der im Juli zurückgetretenen Theresa May im Parlament abhing. DUP-Brexit-Experte Sammy Wilson dementierte auch umgehend den "Times"-Bericht in einem BBC-Interview am Freitag. Es habe aber einen Fortschritt in Form einer veränderten Einstellung gegeben, so Wilson.
Trotz des Dementis wollen die Spekulationen nicht abbrechen. Johnson ist weitaus weniger abhängig von der DUP als seine Vorgängerin, weil er so oder so keine Mehrheit im Unterhaus hat. Er spekuliert auf eine Neuwahl.
Sollte die EU nicht auf den Backstop verzichten, will Johnson notfalls ohne Abkommen aus der EU ausscheiden. Eine Mehrheit der Abgeordneten im Parlament will den No-Deal-Brexit dagegen unbedingt verhindern und hat ein Gesetz verabschiedet, das den Premier zum Beantragen einer Verlängerung der Austrittsfrist verpflichtet, sollte nicht rechtzeitig ein Abkommen ratifiziert sein. Johnson lehnt das aber kategorisch ab. Lieber will er "tot im Graben" liegen.
Der scheidende Präsident des britischen Unterhauses, John Bercow, warnte Johnson am Donnerstagabend davor, das Gesetz zu ignorieren. "Das wäre das fürchterlichste Vorbild, das man für den Rest der Gesellschaft abgeben könnte", sagte Bercow bei einer Rede am Donnerstagabend in London. Versuche, einen Rechtsbruch im Namen des Brexit-Votums zu rechtfertigen, seien vergleichbar mit einem Bankräuber, der seine Beute an eine Wohltätigkeitsorganisation spenden wolle, so Bercow. Das Parlament werde das nicht zulassen.
Der Parlamentspräsident spielt eine zentrale Rolle im Machtkampf zwischen dem Parlament und der Regierung. Er erlaubte den Abgeordneten mehrfach, entgegen den Konventionen die Kontrolle über den Parlamentskalender zu übernehmen und damit gegen den Willen der Regierung Gesetzesvorlagen einzubringen. Die von Johnson auferlegte umstrittene fünfwöchige Zwangspause des Parlaments kritisierte er scharf. Bercow will sein Amt am 31. Oktober abgeben.
Am Mittwoch hatte die Regierung unter dem Druck des Parlaments ein Dokument mit Annahmen für den Fall eines ungeregelten Brexits veröffentlicht. Dem sogenannten "Yellowhammer"-Dokument zufolge könnte es anderem zu Lebensmittel- und Medikamentenknappheiten kommen. Auch Unruhen werden befürchtet. Reisende müssten sich auf lange Wartezeiten einrichten und würden in der EU keine automatischen Krankenversicherungsschutz mehr genießen.
In diesem Lichte geradezu absurd wirkte die Ankündigung der britischen Regierung von Dienstag, bei einem No-Deal-Brexit seien wieder Duty-Free-Einkäufe bei Reisen aufs europäischen Festland möglich. Der Kauf einer Flasche könne so beispielsweise um 2,23 Pfund (rund 2,50 Euro) billiger sein als bisher, hieß es./eb/DP/jsl
--- Von Dieter Ebeling und Christoph Meyer, dp ---
AXC0179 2019-09-13/16:16