Die Bundesregierung hat ein umfassendes Maßnahmenpaket für den Klimaschutz beschlossen. Das Paket sieht unter anderem einen CO2-Preis, die energetische Gebäudesanierung, eine Erhöhung der Ticketsteuer auf Flugreisen und eine Reform der Kfz-Steuer vor. Es folgen Kommentare und Einschätzungen zu dieser Entscheidung:
Umweltverbände: Vorschläge Lichtjahre vom 1,5-Grad-Limit entfernt
Aus Sicht des Deutschen Naturschutzrings (DNR) ist das Klimakabinett in seiner entscheidenden Sitzung gescheitert. Es sei "ein Sammelsurium teurer Anreizprogramme" beschlossen worden, erklärte der DNR im Namen von elf Umweltschutzverbänden. Deutschland sei weiterhin "Lichtjahre" vom Pariser Ziel, den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu beschränken, entfernt. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bleibe ein klimapolitischer Totalausfall. "Der homöopathische Einstieg in die CO2-Bepreisung von 10 Euro die Tonne CO2 wird keinerlei Lenkungswirkung entfalten", prophezeit der DNR. Die Verbände forderten die Regierung nun auf, bis zum Beginn der Weltklimakonferenz Ende November ein deutlich verbessertes Klimapaket zu beschließen.
Chemiebranche warnt vor Doppelbelastung
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hält die Ausrichtung des Maßnahmenpaketes in weiten Teilen für richtig. "Bei der Ausgestaltung des Systems muss darauf geachtet werden, dass ab 2021 keine Doppelbelastung für die Industrie entsteht", betonte Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann. Positiv sei, dass die Regierung Innovationen für klimafreundliches Verhalten anstoßen wolle und einen technologieoffenen Ansatz bei der Förderung emissionsmindernder Maßnahmen verfolge. Der VCI kritisierte aber die Absicht, den EU-Emissionshandel auf alle Sektoren zu erweitern und einen Mindestpreis für Zertifikate einzuführen. "Ein gemeinsames System hält der VCI für nicht zielführend, weil die Vermeidungskosten der Sektoren zu unterschiedlich ausfallen", sagte Tillmann.
Banken wollen Anreize zur Finanzierung des Klimaschutzes
Die deutschen Banken haben ihre Rolle bei der Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen unterstrichen. "Die Herausforderungen der Klimaschutz-Agenda sind so elementar und tiefgreifend, dass Politik, Realwirtschaft und die Kreditwirtschaft an einem Strang ziehen und gemeinsam Lösungsansätze in Angriff nehmen müssen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Christian Ossig. Die Unternehmen in Deutschland finanzierten sich überwiegend über Banken und nicht über den Kapitalmarkt. "Wenn wir also über die Finanzierung von Innovationen im Bereich Klimaschutz reden oder von notwendigen technologischen Nachrüstungen, dann sind hier an erster Stelle die Banken gefragt", betonte Ossig. Es seien daher "konkrete Anreize erforderlich, um Banken den notwendigen Handlungsspielraum für die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen zu geben".
BDI: Unternehmen brauchen schnell Klarheit
Für den Bundesverband der Deutschen Industrie enthält das Klimapaket "nicht den angekündigten großen Wurf, aber wichtige Weichenstellungen für einen effizienten und nachhaltigen Klimaschutz". Jetzt komme es darauf an, die Ziele und Maßnahmen rasch konkret auszugestalten. "Unsere Unternehmen brauchen schnell Klarheit über Belastungen, Entlastungen und Investitionsbedingungen," sagte BDI-Präsident Dieter Kempf. Trotz der vielfältigen Maßnahmen bleibe es ein Kraftakt, die erforderlichen Investitionen bis 2030 umzusetzen. Unsicher sei, wie die Unternehmen mit Blick auf Strom- und Gaspreise wettbewerbsfähig blieben. Das Ziel, den Anteil von E-Autos bis 2030 mindestens zu verfünfzigfachen, sei "an der äußersten Grenze der Realisierbarkeit".
BDEW zeigt sich enttäuscht
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat eine ernüchterte Bilanz gezogen. "Die heutige Einigung im Klima-Kabinett enthält zwar einige wichtige Weichenstellungen. Das Gesamtpaket enttäuscht jedoch", sagte BDEW-Präsidentin Marie-Luise Wolff. Insbesondere bei der CO2-Bepreisung und der notwendigen Strompreis-Entlastung sei die Regierung "viel zu zögerlich". Hinzu komme, dass die geplante Erhöhung der Pendlerpauschale die zögerliche Mehrbelastung des CO2-Ausstoßes im Verkehr konterkariere. Auch die Beschlüsse im Bereich der erneuerbaren Energien seien nicht ausreichend, um das Ziel von 65 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 zu schaffen.
Wohnungswirtschaft pocht auf schnelle Umsetzung
Die Wohnungsbranche hat gute Ansätze konstatiert, die aber für ein Erreichen der Klimaziele noch nicht ausreichten. "Die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm beinhalten viele gute Aspekte, die den Wohnungsunternehmen helfen werden", sagte der Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, Axel Gedaschko. Es komme jetzt darauf an, wie und wie schnell diese umgesetzt werden könnten. Die offene Flanke bleibe aber weiterhin die Frage, wie die Wohnungsunternehmen wirtschaftlich und sozialverträglich mehr energetisch modernisieren könnten. Die geplante steuerliche Förderung der energetischen Sanierung müsse durch eine Zuschussvariante ergänzt werden, damit die Wohnungsunternehmen diese überhaupt nutzen könnten.
DIW: Klimapaket ist erster wichtiger Schritt
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat sich lobend geäußert. "Das nun von der Koalition beschlossene Klimapaket ist ein wichtiger erster Schritt", sagte der Leiter der Abteilung Klimapolitik, Karsten Neuhoff. Das Paket beinhalte Anreize für klimafreundliche Investitionen durch einen, wenn auch recht langsamen, Einstieg in die CO2-Bepreisung für Gebäudewärme und Verkehr. Die konkrete Umsetzung werfe sicher noch Fragen auf. Die sicherlich größte Verbesserung bestehe aber in der klaren Definition von Emissionspfaden für jeden Sektor und der Schaffung eines unabhängigen Gremiums für die jährliche Überprüfung des Fortschrittes in den einzelnen Sektoren.
BGA lobt Zertifikatehandel und kritisiert Einzelmaßnahmen
Der Groß- und Außenhandelsverband BGA hat die kostspieligen Maßnahmen des Pakets kritisiert. "Die Grundsatzentscheidung für einen marktwirtschaftlichen Ansatz und damit für den Zertifikatehandel ist völlig richtig", sagte BGA-Präsident Holger Bingmann. Er begrüßte, dass dabei auch an der schwarzen Null festgehalten werde. "Skeptisch sehen wir die vielen kostspieligen Einzelmaßnahmen, die nicht ansatzweise den gleichen nachhaltigen Erfolg versprechen", kritisierte er aber. Um den beabsichtigten Klimaeffekt zu erzielen, werde es bei der konkreten Ausgestaltung nun darauf ankommen, dass sie auch von weiteren Ländern als vorbildlich bewertet werde - "und nicht als abschreckendes Beispiel, wie der viel zu teure deutsche Alleingang bei der Energiewende".
CEP sieht Weichen falsch gestellt
Das Centrum für Europäische Politik (CEP) hat sich den kritischen Meinungen zum Klimapaket angeschlossen. "Das heutige Klimapaket ist eine Mogelpackung, ein Sammelsurium aus ineffizienten Vorschriften, Verboten und Subventionen und kaum ein Paradigmenwechsel in der Klimapolitik", erklärte CEP-Klimaexperte Martin Menner. Zwar sei der Einstieg in eine CO2-Bepreisung durch einen Emissionshandel grundsätzlich richtig, "aber die Ausgabenorgie aus Kaufprämien für Elektroautos oder Abwrackprämien für Ölheizungen degradiert ihn vom zentralen Steuerungsinstrument zum bloßen Anhängsel". Zudem würden bei der Ausgestaltung des Emissionshandels die Weichen falsch gestellt.
Autoindustrie: Einstieg in die CO2-Bepreisung positiv
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat begrüßt, dass das Klimakabinett den Einstieg in die CO2-Bepreisung beschlossen hat. Mit der Einführung eines Emissionshandels für Gebäude und Verkehr werde der Weg über einen mengenbasierten Ansatz gewählt. "Damit bekommt CO2 einen Preis." Es entstehe ein Anreiz für CO2-sparendes Verhalten. Dieser ergänze die Lenkungswirkung der bereits bestehenden EU-Flottengrenzwerte für CO2. Der VDA lobte die geplante schnelle Erarbeitung eines Masterplans Ladeinfrastruktur und die Verlängerung der Fördermaßnahmen zur Elektromobilität. Auch die Senkung der EEG-Umlage sei ein Schritt in die richtige Richtung. Der VDA mahnte aber konkrete Maßnahmen zur Förderung alternativer Antriebe und Kraftstoffe wie Wasserstoff und E-Fuels an.
Luftverkehr sieht keinen Nutzen der Steuererhöhung
Der von der Bundesregierung getroffene Beschluss, die Luftverkehrsteuer drastisch zu erhöhen, bringt in den Augen des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) für den Klimaschutz gar nichts. Durch diese Verschärfung des nationalen Alleingangs im wettbewerbsintensiven Luftverkehrsmarkt würden CO2-Emissionen nicht reduziert, sondern lediglich verlagert, was ökonomisch den Luftverkehrsunternehmen in Deutschland schade. Darüber hinaus würden somit den Fluggesellschaften Mittel für Investitionen in energieeffizientere Flugzeuge entzogen.
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