BERLIN (Dow Jones)--Im vergangenen Jahr haben Kraftwerksbetreiber an 25 Tagen dafür Geld gezahlt, dass ihnen Strom abgenommen wurde. Insgesamt traten an 134 Stunden so genannte negative Börsenpreise auf, wie die Bundesnetzagentur in ihrem zweiten Bericht über die Mindesterzeugung mitteilte, der am Montag vorgelegt wurde. In den Jahren 2016 und 2017 waren es noch 97 Stunden an 19 Tagen sowie 146 Stunden an 24 Tagen. Aus Sicht der Kraftwerksbetreiber habe es sich um betriebswirtschaftliche Extremsituationen gehandelt, so der Bericht. Sie hätten ihre Netzeinspeisung schon auf ihr gemeldetes technisches Minimum gesenkt, mussten aber immer noch draufzahlen.
"Viele Kraftwerke reagieren nur eingeschränkt auf Börsenstrompreise", erklärte der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann. Zwar hätten einige Betreiber in den zurückliegenden Jahren bereits in die Flexibilisierung ihrer Anlagen investiert, heißt es in dem Bericht. Doch einer noch flexibleren Fahrweise stünden oft Wärmelieferverpflichtungen entgegen, so Homann. Anreize aus Regelungen zur Eigenerzeugung wurden ebenfalls als Grund genannt, negative Börsenpreise in Kauf zu nehmen.
Die Studienautoren befragten dazu Kraftwerksbetreiber, wie sie sich bei einem hypothetischen Börsenpreis von minus 100 Euro pro Megawattstunde verhalten würden. Nur 28 Prozent würden bereits bei einem Negativpreis, der bis zu 6 Stunden dauert, ihr Kraftwerk komplett herunterfahren. 41 Prozent der Befragten würden auch unabhängig von der Länge der Negativperiode weiter Strom ins Netz einspeisen, darunter insbesondere Betreiber von Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Betreiber von Kernkraftwerken nähmen sogar Negativperioden von mehr als 24 Stunden in Kauf, ohne komplett herunterzufahren.
In den analysierten Stunden zwischen 2016 und 2018 wurden 18 bis 26 Gigawatt konventionelle Stromerzeugung eingespeist. Nur ein kleinerer Teil von mindestens vier bis acht Gigawatt - die sogenannte Mindesterzeugung - war für den sicheren Netzbetrieb erforderlich. Der überwiegende Anteil von 14 bis 19 Gigawatt der konventionellen Stromerzeugung war dem "konventionellen Erzeugungssockel" zuzuordnen, also der Kraftwerksleistung, die sich preisunelastisch verhält.
Die Bundesnetzagentur hat auch untersucht, inwiefern sich Engpässe auf den Einspeisevorrang Erneuerbarer Erzeugungsanlagen auswirkten. Ein nennenswerter Teil der Ökostrom-Abregelungen war demnach auf Engpässe zwischen Übertragungs- und Verteilernetz zurückzuführen, das waren zwischen 39 und 88 Prozent. In diesen Fällen war das Abregeln von konventionellen Kraftwerken auf Übertragungsnetzebene wirkungslos. Die Behörde empfiehlt daher spezifische Anreize, um solche Probleme zügig zu beseitigen. Um die Erneuerbaren umfassend zu integrieren, müsse zudem der konventionelle Erzeugungssockel schrittweise abgeschmolzen und die Mindesterzeugung zunehmend erneuerbar erbracht werden.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) warnte angesichts des Berichts vor einer Blockade der Energiewende. "Es ist energiewirtschaftlich und unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Belastungen nicht weiter hinnehmbar, dass konventionelle Kraftwerke und fossil betriebene KWK-Anlagen die Netze verstopfen, während sauberer Strom abgeregelt wird", erklärte BEE-Präsidentin Simone Peter. Der Bericht über die Mindesterzeugung belege, dass nur ein sehr kleiner Teil des trägen konventionellen Kraftwerkssockels für den Betrieb des Stromsystems überhaupt erforderlich sei. "Fossil-betriebene KWK-Anlagen müssen auch tatsächlich flexibel betrieben werden, was heute nicht der Fall ist", so Peter.
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October 07, 2019 11:17 ET (15:17 GMT)
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