BERLIN (Dow Jones)--In die Brexit-Verhandlungen ist kurz vor dem Europäischen Rat in Brüssel neuer Schwung gekommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zeigten sich am Abend zuversichtlich, dass ein Austrittsabkommen mit Großbritannien geschlossen werden könne. "Wir sind auf den letzten Metern", sagte Merkel bei einer Pressekonferenz anlässlich des deutsch-französischen Ministerrates in Toulouse. Sie glaube an ein Abkommen und drücke "die Daumen", dass dies noch gelingen werde. Auch Macron zeigte sich positiv: "Wir hoffen, dass es ein Austrittsabkommen in den nächsten Stunden geben wird."
Am Mittwoch waren die Verhandlungen zwischen London und Brüssel weitergegangen. Der EU-Gipfel am morgigen Donnerstag und am Freitag ist die letzte große Gelegenheit, sich mit Großbritannien auf ein geregeltes Austrittsabkommen zu einigen. Andernfalls droht das Vereinigte Königreich am 31. Oktober ohne Abkommen aus der EU zu brechen, was für alle Seiten massive wirtschaftliche Turbulenzen hervorrufen würde.
Merkel und Macron hatten am Abend in Toulouse auch weitere Ergebnisse des deutsch-französischen Ministerrats verkündet. Das Format ist Teil des Aachener Vertrags, des neuen Freundschaftsvertrags, den beide Staaten im Januar unterzeichnet hatten und der dazu dienen soll, sich bei wichtigen europäischen Themen noch enger abzustimmen.
Engere deutsch-französische Industrie-Zusammenarbeit
Beide Seiten vereinbarten eine deutlich stärkere Zusammenarbeit in der Industrie. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Entfernung der Amerikaner von Europa sei dies umso wichtiger, erklärte Macron. Als "Beweis für die Früchte unserer Zusammenarbeit" nannte Macron den deutsch-französischen Flugzeugbauer Airbus, dem er und Merkel am Mittwoch einen Besuch abstatteten. Die USA hatten gegen Airbus Strafzölle angedroht, nachdem die Welthandelsorganisation (WTO) die europäischen Subventionen für den Flugzeugbauer gerügt hatte. In der sogenannten Toulouser Erklärung fordern Deutschland und Frankreich nun eine Reform der WTO und "ein robustes und effizientes zweistufiges System der Streitschlichtung".
Auch im Bereich Luft- und Raumfahrt gibt es große bilaterale Pläne. "Wir wollen Satelliten in den Weltraum schicken", erklärte Macron. Zudem soll der europäische Sektor für Ariane-6-Trägerraketen gestärkt und ein neues europäisches Flugzeug geplant werden. Eine engere Zusammenarbeit vereinbarten beide auch bei den Themen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Forschung und Innovation. Macron mahnte stärkere Anstrengungen der EU zur Verteidigung des geistigen Eigentums an. In der Toulouser Erklärung fordern beide Staaten auch einen sektorübergreifenden CO2-Preis zur Bekämpfung des Klimawandels.
Unterschiede bei Rüstungsexportfragen nicht ausgeräumt
Im Bereich Waffenexporte konnten die Differenzen nicht ausgeräumt werden. Merkel hob hervor, es sei erst "nach langen und nicht einfachen Verhandlungen" gelungen, ein Rüstungsexportabkommen zu schließen. Dies habe Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) verhandelt und werde noch im Bundeskabinett verabschiedet. Das Papier sehe mehr "Verlässlichkeit" bei Gemeinschaftsprojekten vor, etwa, "wenn es Komponenten gibt, die ein Land zu den Rüstungsproduktionen eines anderen Landes beiträgt, dass dann dafür die Genehmigung erteilt ist", so die Kanzlerin. Weitere Details nannte Merkel nicht. Zwischen beiden Ländern hakt es wegen der Rüstungsexporte seit langem. Deutschland hatte wegen des Mordes an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien verhängt, Frankreich indes nicht. Die Lieferung gemeinsamer europäischer Waffensysteme stand damit auf der Kippe.
Einig sind sich beide Länder allerdings mit Blick auf die Attacke der Türkei gegen die Kurden. Als Reaktion auf die Invasion Ankaras in Nordsyrien hatten sowohl Deutschland als auch Frankreich ihre Waffenexporte an die Türkei eingeschränkt. Es müsse nun darum gehen, mit den EU- und Nato-Partnern den Druck auf die Türkei zu erhöhen, erklärte Macron.
Ungeklärt blieb schließlich auch die Frage des Beitritts Albaniens und Nordmazedoniens zur EU. Die Bundesrepublik befürwortet die Aufnahme der beiden Balkanländer, während Frankreich, die Niederlande und Dänemark dies blockieren. Er begrüße "den Mut und die Durchhaltefähigkeit", die Nordmazedonien und Albanien gezeigt hätten, erklärte Macron. Doch es müsse darum gehen, den EU-Beitrittsprozess insgesamt zu reformieren. "Bislang gibt es keine Reversibilität", so der französische Präsident. Dabei zeige gerade das Beispiel der Türkei, dass es diese Umkehrbarkeit des Beitrittsprozesses brauche. Merkel betonte, dass sie solche Reformen "sehr unterstütze". Sie zeigte sich zuversichtlich, bis zum Europäischen Rat eine gemeinsame Position zu finden.
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