Mario Draghis Amtszeit als EZB-Präsident endet mit einer Zementierung des Zinstiefs. In der letzten Sitzung unter Leitung des Italieners bekräftigte der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) den Mitte September nochmals verschärften ultralockeren Kurs.
Mit einem Leitzins auf dem Rekordtief von null Prozent, Negativzinsen von 0,5 Prozent für geparkte Gelder von Banken und frischen Milliarden für den Kauf von Staatsanleihen will die EZB Konjunktur und Inflation im Euroraum auf die Sprünge helfen.
"Leider hat alles, was seit September passiert ist, im Übermaß gezeigt, dass die Entschlossenheit des EZB-Rates zu handeln, berechtigt war", sagte Draghi am Donnerstag in Frankfurt. "Wenn es etwas gibt, worauf ich stolz bin, dann darauf, dass wir unser Mandat immer weiterverfolgt haben. Gib niemals auf!"
Die achtjährige Amtszeit des 72-Jährigen endet am 31. Oktober. Zum 1. November rückt die bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde (63), als erste Frau auf den EZB-Chefposten. Im Rahmen eines Festaktes mit viel politischer Prominenz am Montag (28.10.) in Frankfurt wird Draghi offiziell verabschiedet.
Lagarde übernimmt einen gespaltenen EZB-Rat. "Die Schockwellen der
September-Beschlüsse hallen immer noch durch die Flure des
EZB-Gebäudes", schreibt ING
EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger erklärte ihren vorzeitigen Rücktritt aus dem sechsköpfigen Führungsgremium zum 31. Oktober 2019. Sie hatte sich wiederholt kritisch zu Anleihenkäufen geäußert, die vom 1. November an mit monatlich 20 Milliarden Euro wiederaufgenommen werden sollen - auf unbestimmte Zeit.
Als Nachfolgerin Lautenschlägers hat die Bundesregierung, die in diesem Fall das Vorschlagsrecht hat, die "Wirtschaftsweise" Isabel Schnabel nominiert. Neu ins EZB-Direktorium einrücken soll zudem der Italiener Fabio Panetta als Nachfolger des Franzosen Benoît C?uré, dessen achtjährige Amtszeit am 31. Dezember 2019 zu Ende geht.
"Wer nun unter Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde auf einen
Kurswechsel hofft, dürfte enttäuscht werden", analysiert Commerzbank
Sparer und Banker hoffen nach einem jahrelangen Zinstief dennoch auf neue Impulse. "Über lange Zeit hat die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank den Euroraum stabilisiert. In der jetzigen Situation überwiegt jedoch mittlerweile der Schaden einer expansiven Geldpolitik ihren Nutzen", bilanzierte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Helmut Schleweis.
Nach Ansicht von Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), hat sich die EZB im Krisenmodus festgefahren: "Trotz eines kräftigen Wirtschaftswachstums im gesamten Euroraum ist es ihr nicht gelungen, aus der Krisenpolitik herauszukommen."
Ifo-Präsident Clemens Fuest warnte vor Spekulationsblasen angesichts frischer EZB-Milliarden für Anleihen. "Die EZB versucht, mit der Brechstange die Inflationsrate anzuheben", kommentierte Fuest. Draghi habe in seiner Amtszeit "in Kauf genommen, dass die EZB ihr Mandat überschreitet und eine fiskalpolitische Rolle übernimmt".
Hauptziel der Währungshüter sind stabile Preise. Mittelfristig strebt die EZB für den Währungsraum mit seinen 19 Ländern eine Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Das ist weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen aufschieben - in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.
Das Zwei-Prozent-Ziel der EZB ist jedoch in weite Ferne gerückt: Im September fiel die Inflation im Euroraum nach Eurostat-Berechnungen mit 0,8 Prozent auf den tiefsten Stand seit fast drei Jahren.
Mit einer Flut billigen Geldes versuchen die Währungshüter seit Jahren, die Wirtschaft anzukurbeln und die Inflation in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels zu treiben. Der Strafzins soll Banken dazu bewegen, mehr Kredite zu vergeben, statt Geld bei der EZB zu parken. Schuldner profitieren im Zinstief von günstigen Konditionen.
Mit der Neuauflage der Wertpapierkäufe will die EZB Konjunktur und Inflation zusätzlich auf die Sprünge helfen. Der Kauf von Staatsanleihen hilft Regierungen, sich günstiger frisches Geld zu besorgen. Denn wenn die EZB große Bestände kauft, müssen Staaten für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten. Zugleich pumpt die Notenbank über Wertpapierkäufe viel Geld in den Markt. Von März 2015 bis Ende 2018 steckte die EZB rund 2,6 Billionen Euro in Anleihen.
Kritiker argumentieren, mit Anleihenkäufen betreibe die Notenbank verbotene Staatsfinanzierung und bremse politische Reformen, weil sich Regierungen auf das billige Zentralbankgeld verließen.
ZEW-Präsident Achim Wambach lobte einerseits Draghis "gelungenes Krisenmanagement". Andererseits werde die Ära Draghi mit negativen Zinsen und der Ausweitung der Staatsanleihenkäufe in Erinnerung bleiben. "Neben der Kritik an den geldpolitischen Maßnahmen fällt in die Zeit von Draghi auch die zunehmende Kritik an der EZB als Institution und damit auch an ihrer Unabhängigkeit. Dieser zunehmende Vertrauensverlust ist problematisch", schreibt Wambach./ben/DP/bgf
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