Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag wie erwartet ihre Zinsen nicht angetastet. Auch ansonsten wurde die Geldpolitik nicht verändert. Es war zudem die letzte Pressekonferenz von Präsident Mario Draghi. Das sagen Experten zu den Beschlüssen:
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank:
"Auf der letzten Pressekonferenz seiner achtjährigen Amtszeit hat Mario Draghi die Abwärtsrisiken für die Konjunktur betont. Trotzdem dürfte seine Nachfolgerin Christine Lagarde zunächst eine Politik der ruhigen Hand betreiben, um die Wogen im EZB-Rat zu glätten. Aber mittelfristig wird die EZB ihre zu optimistische Wachstumsprognosen weiter senken müssen. Wir rechnen deshalb für das Ende des ersten Quartals leider mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik."
Christian Lips, Chefvolkswirt NordLB:
"Die EZB hat auf ihrer heutigen Ratssitzung wie erwartet keine neuen Beschlüsse gefasst. Nach der teils massiven Kritik an den Septemberbeschlüssen galt es vor allem, zunächst die Reihen wieder zu schließen. Zudem stand die Oktobersitzung unter dem Zeichen der Staffelstabübergabe von Mario Draghi an Christine Lagarde. Draghis Bilanz ist sicher umstritten, große Verdienste für den Euro hat er aber zweifelsohne erworben. Unter Lagarde mag sich ein anderer Stil der Kommunikation herausbilden, ein Paradigmenwechsel ist gleichwohl nicht zu erwarten. Und bei aller Kritik an einzelnen Entscheidungen in den vergangenen acht Jahren gilt es, die Leistungen des scheidenden EZB-Präsidenten für den Euro zu würdigen: Arrivederci e grazie, signor Draghi!"
Uwe Burkert, Chefvolkswirt und Leiter LBBW Research:
"Die Rückblicke auf acht Jahre Draghi sind schon geschrieben. Draghis Amtszeit interessiert ab sofort nur noch die Historiker. Finanzmärkte aber blicken immer nur nach vorn. Und da heißt es ab heute: 'En garde, Frau Lagarde!' Eine Fortsetzung der Politik des extrem billigen Geldes ist zu erwarten. Zuletzt regte sich aber Unmut im Rat vor allem über die Anleihekäufe. Draghi hat seiner Nachfolgerin kein leichtes Erbe hinterlassen. Die Frage wird sein: Wird Frau Lagarde die alte Geschlossenheit im Rat wiederherstellen können? Die Erfahrung hierzu hat sie allemal."
Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs:
"Mit der Amtsübergabe von Mario Draghi an Christine Lagarde beginnt nun eine Denkpause mit einer Phase der geldpolitischen Passivität. Nach dem kontroversen September-Paket mit Zinssenkung und Wiederaufnahme der Wertpapierkäufe wird sich Christine Lagarde zunächst darauf konzentrieren, die Zerstrittenheit im EZB-Rat aus der Schlussphase Mario Draghis aufzuarbeiten. Sie weiß, dass solch schwere Konflikte, die offenbar weit in das fachliche Personal der EZB hineinreichen, letztlich die Akzeptanz einer unabhängigen Zentralbank untergraben."
Jan Holthusen, Leiter Fixed Income Research, DZ Bank:
"Mario Draghi dagegen bleibt in Erinnerung als derjenige EZB-Präsident, der die Leitzinsen nie erhöht hat. Das hat ihm an den Kapitalmärkten viel Zustimmung eingebracht - der DAX hat sich in den acht Draghi-Jahren mehr als verdoppelt, die Anleihemärkte haussierten. Schon jetzt sind die Auswirkungen des damit verbundenen Negativzinsumfelds spürbar. Wie hoch der Preis dafür mittel- und langfristig sein wird, zeigt die Zukunft."
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP-Bank:
"Man kann nun trefflich darüber streiten, ob die Wiederauflage des Wertpapieraufkaufprogramms und eine weitere Senkung des Negativzinses die adäquate Reaktionen auf die momentane Wachstumsabkühlung sind, doch Draghi betonte stets, dass die EZB eine Mandat habe. Nichtstun kam deshalb nicht in Frage. Die Politik legte zu gerne die Hände in den Schoss und überließ die Arbeit der EZB. Von breitflächigen Strukturreformen war nur im Einzelfall etwas zu sehen. Draghi stand über weite Strecken alleine im Regen. Das sollte bei vorgetragener Kritik berücksichtigt werden. Eines steht fest: Mario Draghi war in der EZB-Historie der bislang prägendste Notenbankpräsident. Gäbe es eine Hall of Fame der EZB, das Porträt von Mario Draghi würde wohl einen zentralen Platz bekommen."
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AXC0290 2019-10-24/16:27